Joachim Löw: „Spieler sind am Limit ihrer Kräfte“

Wien (dpa) - Nach einem Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Österreich hatte es lange nicht ausgesehen. Von der Form der vorangegangenen Punktspiele war das Team von Bundestrainer Joachim Löw weit entfernt.

Wie fällt Ihr Fazit aus?

Löw: „Wir brauchen nicht lange diskutieren. Das war für uns ein glücklicher Sieg. Eigentlich konnten wir fast nicht mehr damit rechnen, dass wir das Spiel auch noch gewinnen.“

Sie hatten schon zuvor die Befürchtung, dass es kein fußballerischer Leckerbissen wird. Was ist schiefgelaufen?

Löw: „Wir hatten schon den Ehrgeiz, die Österreicher aus ihren Träumen zu reißen. Fußballerisch aber konnten wir unser Konzept nicht so umsetzen. Wir hatten diesmal nicht die spielerische Klasse. Aber wir haben auch Fehler gemacht mit dem Ball, kein zielstrebiges Spiel, viele Fehlpässe.“

Der Ausgang aber war noch positiv.

Löw: „Letztendlich muss ich der Mannschaft noch ein Kompliment machen. Man spürt, dass die Spieler am Limit ihrer Kräfte sind nach der WM, Champions League und einer langen Saison. Tempospiel war heute nicht möglich. Doch man muss auch solche Spiele gewinnen. Wir haben fünf gute Spiele gemacht und klar gewonnen. Jetzt haben wir ein bisschen Glück benötigt. Wir haben 18 Punkte, das ist heute mal entscheidend. Österreich war gut, hochmotiviert und gefährlich.“

Hat sich das Risiko mit dem Einsatz des lange verletzten Khedira ausgezahlt?

Löw: „Ja. Es war klar, dass er nicht 90 Minuten mit Dynamik seine Arbeit verrichten kann wie sonst. Simon Rolfes hatte sich im Training leicht verletzt. Und beim Warmmachen gab er das Signal, dass er nicht hundertprozentig fit ist. Es ist am Muskel bei Sami nichts passiert. So war es kein Risiko, das wäre ich auch nicht eingegangen.“

Werden Sie das Spiel von Wien nochmals intensiver aufarbeiten?

Löw: „Natürlich werden wir noch mal gucken, wo die Problematik lag. Die Organisation und die eiserne Disziplin haben ein wenig gefehlt. Wir haben im Spielaufbau einige Bälle verloren.“

Wie sehen die nächsten Tage vor dem Aserbaidschan-Spiel am Dienstag aus?

Löw: „Jetzt muss man ein, zwei Tage vor allem regenerieren. Die Spieler sind im Training nicht mehr so belastbar. Wir haben eine lange Reise nach Baku vor uns. Wenn wir mit einem weiteren Sieg dann 21 Punkte haben, wäre es eine insgesamt überragende Leistung in der Nach-WM-Saison. Es ist schwieriger geworden am Ende der Saison.“

Warum hat gegen die Österreicher die Dominanz gefehlt?

Löw: „Natürlich spürt man als Trainer, dass bei einigen Spielern, die in der Tat wahnsinnig viel geleistet haben, diese Dynamik nicht mehr vorhanden ist. Darunter leidet unser Spiel. Wenn die Spieler frisch sind, laufen unsere Kombinationen besser. Schon zum Ende der Bundesliga-Saison habe ich bei einigen gesehen, das sie nicht mehr diese Power haben. Es ist klar, irgendwann gehen die Kräfte mal zur Neige. Vor allem bei den Spielern, die die WM gespielt haben. Da braucht jeder die drei, vier Wochen Urlaub unbedingt.“

Mario Gomez dagegen wirkt weiter frisch, wie erklären Sie das?

Löw: „Im Abschluss war er die ganze Zeit unglaublich treffsicher und klar in seinen Aktionen. Mario hatte bei der WM nur drei Einsätze. Nach der WM hatte bei Bayern Miroslav Klose auch einige Spiele gemacht. Mario hatte nicht unbedingt dieses Mammutprogramm. Auf der anderen Seite strotzt er nach einer überragenden Saison auch vor Selbstbewusstsein.“

Könnte in Wien eine neue Ära mit dem Stammspieler Gomez begonnen haben?

Löw: „Mario war für mich schon lange ein Stammspieler. Jetzt ist Miro Klose nicht da. Daher ist es müßig, über diese Dinge zu reden. Mario hat seine Aufgabe gegen Uruguay und hier gegen Österreich überragend gemacht. Man redet immer von Stammplätzen. Ich als Trainer sehe das völlig anders. Es fallen immer Spieler aus, da müssen andere ran. Eigentlich hätte ich gegen Österreich gern in einem 4-4-2-System gespielt, weil ich das Gefühl hatte, mit Klose und Gomez wäre die Abwehr viel mehr zu beschäftigen gewesen.“