Kriminologe Feltes im Interview: Interpol müsste gegen die FIFA ermitteln

Feltes spricht über Korruption in der Fifa, den umstrittenen Weltverbands-Chef - und den Weg aus dem Chaos

Umstritten: FIFA-Boss Sepp Blatter

Foto: Marcelo Sayao

Bochum. Herr Feltes, können Sie die Fifa noch ernst nehmen?

Thomas Feltes: Es ist nicht die Frage, ob ich die Fifa noch ernst nehmen kann oder nicht, sondern welche Macht sie weltweit hat. Das über Jahre und Jahrzehnte entstandene und angefütterte Netzwerk lässt sich weder ignorieren noch beseitigen. Und die nächsten Weltmeisterschaften sind geplant. Das Problem ist der Vertrauensverlust, der schleichend begonnen hat, jetzt aber immer massiver wird. Ich frage mich wer in Zukunft noch mit oder für die Fifa eine WM organisieren will, ohne sofort in den Verdacht zu kommen, sich den Zuschlag erkauft zu haben. Und auch die nationalen Verbände oder die Uefa müssen sich überlegen, ob und wie sie mit der Fifa zukünftig umgehen. Denn es bleibt etwas auch an einem selbst hängen, wenn man in dem System mitmacht - auch wenn man selbst integer ist.

Was an der Struktur der Fifa erschwert die Beseitigung von Korruption, warum gibt es keinen Eingriff von außen?

Feltes: Vielleicht wird ja jetzt die Justiz tätig werden, nachdem Herr Blatter Strafantrag gestellt hat. Ich fürchte allerdings, dass wir hier das Gleiche beobachten können wie in anderen Bereichen komplex organisierter Korruptionssysteme: Justiz und Polizei können mit ihren Mitteln die verzweigten Strukturen und die oftmals verkappten und subtilen Abhängigkeiten gar nicht aufklären. Hinzu kommt die internationale Dimension: Die Schweizer Staatsanwaltschaft kann erst einmal nur in der Schweiz ermitteln. Was aber ist mit dem, was im Ausland geschieht oder geschah? Eigentlich müsste hier Interpol tätig werden, aber dazu müssten die möglicherweise betroffenen Länder Interpol entsprechend beauftragen und kooperieren. Ich bezweifle, dass dies geschieht. Die Staatsanwaltschaft könnte natürlich alle Unterlagen bei der Fifa erst einmal beschlagnahmen. Ich bin gespannt, ob dies geschieht.

Ist Sepp Blatter als Person und deren Inhalte das größte Problem?

Feltes: Herr Blatter ist sicherlich so etwas wie der Schlüssel zur Aufklärung des Ganzen, weil er die Fäden in der Hand hält. Man kann aber nicht von ihm erwarten, dass er ein System, an dessen Aufbau er über Jahre hinweg wesentlich beteiligt war und das ihm solche Macht verliehen hat, in Frage stellt.

Es sieht das erste Mal so aus, als könnte das System tatsächlich ins Wanken geraten.

Feltes: Das System wird nur dann wanken, wenn die Länder und die regionalen Verbände, welche die Fifa tragen, zu einem Neuanfang bereit sind. Dazu könnte der Leidensdruck irgendwann groß genug werden, denn die nationalen Fußballverbände erkennen langsam, dass auch ihre eigene Glaubwürdigkeit leidet, wenn sie die Fifa weiter unterstützen. Andererseits wird es hier eine knallharte Kosten-Nutzen-Analyse geben nach dem Motto: Was wir haben, wissen wir. Was danach kommt, nicht. Deshalb werden viele es besser finden, die alten Strukturen nicht anzugreifen.

Was sind die konkreten Auswirkungen auf den Fußball?

Feltes: Zusammen mit dem immer breiter um sich greifenden Phänomen des Wettbetruges und der anderenorts eskalierenden Gewalt könnte irgendwann die Attraktivität des Fußballs massiven Schaden nehmen. Wir beobachten dies bereits in einigen Ländern in Asien, aber auch in Ungarn, wo kaum einer mehr Fußballspiele besucht, weil er entweder keine Lust auf Gewalt hat oder weiß, dass das Spiel manipuliert ist.

Wie kann die Fifa Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?

Feltes: Es müsste eine tatsächlich absolut unabhängige Kommission eingesetzt werden, die freie Hand bekommt, die Ermittlungsergebnisse soweit möglich unter Wahrung des Datenschutzes eigenständig zu veröffentlichen. Also eine „Fifa-Transparency-Gruppe". Nur eine Flucht nach vorne kann der Fifa helfen. Und vielleicht kann auch eine Offensive in Sachen Neuausrichtung der Weltmeisterschaften hilfreich sein, wenn man etwa bereit ist, lokale Steuern auf die Einnahmen zu bezahlen - was im Moment nicht der Fall ist, die Nachhaltigkeit dessen, was man tut oder tun lässt, wirklich ebenso ernst zu nehmen wie Arbeitsschutzvorschriften. Zudem muss man stärker als bisher die soziale Auswirkungen berücksichtigen und die betroffenen Bürger beteiligen. Ob die Fifa dann aber wirklich bereit ist, das Bier von lokalen Kleinhändlern verkaufen zu lassen und nicht vom meistbietenden internationalen Konzern, der dann die Fifa auffordert, die lokalen Händler auszusperren, darf man bezweifeln.

Wäre die Veröffentlichung der Garcia-Ermittlung rechtswidrig?

Feltes: Immerhin wurde den Personen, die gegenüber Garcia und seinen Mitarbeitern ausgesagt haben, Vertraulichkeit zugesagt. Hier könnten Schadensersatzklagen auf die Fifa zukommen, wie sie bereits angekündigt sind.

Was bezweckt Blatter mit seinen Anzeigen gegen unbekannt?

Feltes: Ich fürchte, er will damit von eigenen Versäumnissen ablenken und Zeit gewinnen. Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam, und die Schweizer Staatsanwaltschaft kann ja nicht einmal in Liechtenstein ermitteln. Wenn erst einmal Gras über die Sache gewachsen ist und die Qualifikationsspiele für die nächst WM laufen, fragt danach niemand mehr.

Wie anders kann man dem korrupten System beikommen?

Feltes: Korruption kann nur durch Transparenz und konsequente Strafverfolgung angegangen werden. Das ist aber, wie dargestellt, schwierig. Solange praktisch alle profitieren, die an dem System beteiligt sind, und diejenigen, die darunter leiden wie Brasilien und Südafrika, in denen die WM massive Staatsschulden und entwurzelte Einwohner hinterlassen hat, keine Macht haben, solange wird sich nichts ändern. Oder glauben Sie ernsthaft an einen Spieler- oder Zuschauerboykott der nächsten Weltmeisterschaften? Wobei die Spiele wahrscheinlich sogar ohne internationale Zuschauer stattfinden könnten, denn das „richtige" Geld kommt über die mediale Vermarktung in die Kassen der Fifa, nicht über die Zuschauerkarten. Und die richtige Stimmung kann man auch multimedial produzieren.

Konnte der deutsche Ethikrichter Eckert gar nicht unabhängig richten? Wer zahlt die Ethikkommission?

Feltes: Die Kosten tragen natürlich die Fifa und damit die Mitgliedsverbände. Ob hier der Spruch gilt: „Wes` Brot is ess, des´ Lied ich sing" weiß ich nicht. Ob allerdings Eckert als Richter an einem deutschen Gericht tatsächlich gut beraten war, diesen Auftrag anzunehmen, bezweifle ich. Er hätte aus der Tatsache, dass mein Schweizer Kriminologie-Kollege Mark Pieth als ehemaliger Fifa-Reformbeauftragter 2012 das Fifa-Exekutivkommittee als „eingeschworene Bande" bezeichnet hat und danach den Job quittiert hat, lernen müssen.

Kann der Fußball eine weitere Amtszeit Blatters vertragen?

Feltes: Gegenfrage: Wer wagt es, ihn herauszufordern? Blatter hat sich über viele Jahre hinweg ein engmaschiges Netzwerk von Personen und Funktionären aufgebaut, die aus den verschiedensten Gründen von ihm abhängig sind, indem sie von dem System in welcher Form auch immer profitieren. Wer sägt denn den Ast ab, auf dem er sitzt? Dazu gehört viel Moral und Zivilcourage. Ich fürchte beides ist in diesem Bereich des internationalen professionellen Fußballs schon längst auf der Strecke geblieben. Dabei geht es oftmals nicht oder nicht primär um Geld, sondern um Privilegien verschiedenster Art. Wir kennen das aus der kriminologischen Korruptionsforschung: Geldwerte Vorteile spielen oftmals eine untergeordnete Rolle. Die Möglichkeit, ein Stückchen an der Macht teilzuhaben, ist oftmals wichtiger. Und ebenfalls aus der kriminologischen Forschung kennen wir die Abläufe: Es wird mit Kleinigkeiten angefüttert, und irgendwann können die Betroffenen nicht mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren oder sich selbst angreifbar oder gar strafbar zu machen. Man müsste hier nicht nur einen Preis für Whistle Blower ausloben, also für diejenigen, die Strukturen Abläufe aufdecken, sondern ihnen auch Straffreiheit zusichern.

Glauben Sie daran, dass es nach Blatter besser würde?

Feltes: Ich bin kein Hellseher, weiß aber, dass korrupten Institutionen ganz schnell ein neuer Kopf nachwächst, wenn man den alten entfernt. Korruption ist nicht etwas, das von einer einzigen Person ausgeht, sondern es ist ein Systemversagen. Also muss eine komplett neue Struktur her, und die kann nicht darin bestehen, dass zukünftig alle mehr als 200 Mitgliedsverbände darüber entscheiden, wo eine WM ausgetragen wird, wie das jetzt gemacht werden soll.