Nationalmannschaft Löw und der gelassene Neubeginn

Der Bundestrainer plant eine junge Mannschaft gegen Finnland — und auch ganz generell.

Bundestrainer Joachim Löw trinkt entspannt seinen Espresso.

Foto: Federico Gambarini

Düsseldorf. Der Espresso wird inzwischen wie automatisch gereicht, wenn Joachim Löw auf dem Pult sitzt. Noch vor dem ersten Satz, den der Bundestrainer am Montagmittag in einem Autohaus im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf gesprochen hatte, war der Espresso schon da. Der angenehme Teil des Lebens hat sich für Löw auch sieben Wochen nach dem Halbfinal-Aus bei der EM in Frankreich in seiner elften Saison als allein verantwortlicher Bundestrainer nicht geändert. Und wenn man dem 56-Jährigen am Montag genau zugehört hat, durfte man zu dem Schluss kommen, dass Löw den Entspannungsmodus nach dem Urlaub auf Sardinien auch noch nicht gänzlich wieder verlassen hat. Tenor: Alles zu seiner Zeit, langsam reinkommen. Eine Woche vor dem ersten Qualifikationsspiel zur Fußball-Weltmeisterschaft in Russland am Sonntag in Oslo gegen Norwegen (20.45 Uhr/ RTL) lässt sich der Bundestrainer nicht zur Hektik drängen.

Etwa in der Kapitänsfrage, die nach dem Rücktritt von Bastian Schweinsteiger auf dem Tableau liegt. Er wolle sie am Donnerstag beantworten, also einen Tag nach dem Test- Länderspiel Mittwochabend in Mönchengladbach (20.45 Uhr/ ZDF), wo Bastian Schweinsteiger seinen 121. und letzten Einsatz im DFB-Team haben wird. Der Mannschaftsrat sei mit Persönlichkeiten durchsetzt, denen er vertraue, sagte Löw. Neuer, Hummels, Boateng, Khedira — einer dieser Vier wird der künftige DFB-Kapitän sein, Neuer gilt als ausgesprochener Favorit. Löw hat sich bereits festgelegt, „isch ja klar“, aber sagen will er es noch nicht. Toni Kroos, dem Löw eine „gute menschliche Entwicklung“ zusprach, rücke für Schweinsteiger in den Mannschaftsrat auf. „Das Kapitänsthema ist für mich nicht so dominant“, sagte Löw.

Der hat bis zur Weltmeisterschaft 2018 eine neue Mannschaft mit einer neuen Struktur aufzubauen — und vielleicht auch eine, die sich abseits der großen Turniere künftig auch bei Testspielen mächtig ins Zeug zu legen weiß. Das könnte ein Auftrag an die neue Nationalelf sein. Denn die Zuschauer scheinen nicht mehr bereit, für bedeutungslose Freundschaftsspiele, bei denen mit halber Kraft und halbem Herzen agiert wird, übermäßig viel Eintritt zu entrichten: Bis zum Wochenende waren nur 18000 Tickets für das Finnland-Spiel verkauft. Der Abschied Schweinsteigers scheint vor einer Minuskulisse zelebriert werden zu müssen. Löw nannte die vielen Großereignisse und die späte Anstoßzeit als Gründe für den mauen Ticketverkauf. In der Tat: Ab 20.45 Uhr können allzu viele Schulkinder kaum mehr im Gladbacher Borussia-Park dabei sein.

Und wer es mit Schweinsteiger hält, der würde den bei Manchester United zuletzt durch Missachtung gemobbten Edelkicker wohl lieber in München oder mindestens in Bayern verabschieden. Schweinsteiger reist erst am Dienstag nach Düsseldorf und steigt mit der am Montag zum ersten Mal trainierenden Mannschaft — die Einheit stieg ab 17.30 Uhr im Paul-Janes- Stadion — im schicken Hyatt Regency im Düsseldorfer Medienhafen ab. Ein öffentliches Training für Fans ist in Düsseldorf nicht vorgesehen.

Ein Eigentor hat sich der Bundestrainer selbst geleistet, weil er nicht einen einzigen Gladbacher Spieler nominiert hat. Mit Kramer, Dahoud, Stindl, Hahn oder auch Herrmann hätte es Auswahl mit Argumenten gegeben, zumal Löw mit einem 24er-Kader auf Reisen geht. Am Montag kündigte er an, dass jene Spieler, die bei Olympia die Silbermedaille erwirtschaftet hatten — Julian Brandt, Niklas Süle und Max Meyer — in Gladbach auf jeden Fall spielen, danach aber kaum mit nach Norwegen fahren werden. Wohl auch ein solches Szenario ist für einen Gladbacher Akteur offenbar nicht in Frage gekommen. Womöglich sind Löw derlei Gedanken aber auch egal — eine satte Zuschauereinnahme ist nicht das, was der reiche DFB vordringlich braucht.

Dass Löw mit Schweinsteiger und Lukas Podolski in seinem Perspektivkader 2018 echte Weggefährten verliert, ließ er am Montag nicht unerwähnt. Beide würden ihm und dem Team künftig menschlich fehlen, weil „sie viel in diesen Kader eingebracht haben“. Allerdings verhehlte der Bundestrainer auch nicht wirklich, dass er den Abschied von „Poldi und Schweini“ für angebracht hält. „Irgendwann“, sagte Löw, „muss es einen Umbruch geben und neues Blut fließen. Es war jetzt ein absolut guter Zeitpunkt für die beiden.“

Podolski fehlt am Mittwoch verletzungsbedingt. Der Kölner soll im März kommenden Jahres sein Abschiedsspiel mit einem letzten und 130. Einsatz bekommen, wenn die DFBAuswahl Tage vor dem WMQualifikationsspiel in Aserbaidschan in Deutschland testet. Ort und Gegner stehen dann noch nicht fest. Wenn es der DFB aber besser machen will als nun im Fall Schweinsteiger könnte Köln eine Option sein.

Bis dahin will Löw auch zwei Ziele für die neue Nationalelf auf den Weg gebracht haben: Umschaltspiel und Chancenverwertung will Löw wieder verbessert sehen und zudem mehr auf junge Spieler setzen. So soll der Confed-Cup im nächsten Sommer (17. Juni - 2. Juli 2017) in Russland ein „Perspektivturnier werden — mit vielen jungen Akteuren und ohne die erfahrenen Leistungsträger wie Hummels, Kroos, Neuer oder Müller.