„Wortfetzen aus Geschichte“ Müllers Konter aus moderner Medienfalle
Mailand (dpa) - Seinen energischsten Konter startete Thomas Müller erst nach der Nullnummer gegen Italien. Mit ungewohnt belegter Stimme analysierte der deutsche Offensivmann und Ersatzkapitän das Remis in Mailand.
Und dann brach er doch aus ihm heraus, der Frust über seine plötzliche Rolle als deutscher Buhmann. Das Reizwort San Marino reichte. „Ich habe die Aussage in einem ruhigen Ton getroffen. Es wurde auch nur eine Überschrift verfasst mit einem Wortfetzen aus der ganzen Geschichte. Wer das Interview live sieht, sieht, dass ich beide Seiten beleuchtet habe, dass ich auch Verständnis hatte für die San-Marinesen“, sprudelte es aus Müller heraus.
Dass das 8:0 der Fußball-Weltmeister gegen die Nummer 201 der FIFA-Weltrangliste auch nach fast einer Woche und sogar nach dem Klassiker gegen Italien noch ein Thema sein würde, war so nicht zu erwarten. Die ganze Aufregung um die angeblich herablassende Äußerung Müllers gegenüber den Amateuren aus der Mini-Republik ist letztlich Resultat mancher Missverständnisse.
Und sie ist Resultat der Mechanismen, wie sie die moderne Medienwelt auf ihren sozialen Kanälen erzeugt, wenn private Meinung über Like-Buttons zur gefühlten Wahrheit wird. Einer Wahrheit, die am Ende sogar die Verursacher der Debatte nicht mehr verstehen. Das hatte auch Müller nach der aufgeregten Internetdebatte und dem massiven Pfeifkonzert der italienischen Fans in Mailand leidvoll erfahren.
„Aber so ist das halt ab und zu, wenn man mit den Medien spricht, sieht man halt, wie das so abläuft. Der Leser liest nur die Überschrift und das habe ich mal wieder unterschätzt“, sagte Müller.
Mit einem süßsauren Lächeln nahm der 27-Jährige zur Kenntnis, dass der Verursacher des Wirbels, Alan Gasperoni, ein Ex-Funktionär aus San Marino, seine polemische Frontalkritik als Symbol der hyperreichen Profis und Prototyp des hässlichen Deutschen gar nicht „persönlich gemeint“ hatte. Er habe die öffentliche Wirkung seines Briefes bei Facebook unterschätzt, letztlich sei er sogar Müller-Fan, sagte er.
Gasperoni ging es nämlich nicht um Müller oder die als Träger von weißen Socken in Sandalen pauschal attackierten Deutschen. Es ging ihm darum, sich den Frust von der Seele zu schreiben, dass die wackeren Freizeitfußballer seiner Heimat keinen rechten Platz hätten in der Glitzerwelt des geliebten Sports, und doch wenigstens ein bisschen Respekt erwarteten nach dem Spiel ihres Lebens.
Die Debatte Groß gegen Klein ist ein Hauptkonflikt des modernen Fußballs - ausgetragen derzeit unter anderem auch in der Diskussion um die Reform der Champions League, die die Reichen noch viel reicher machen wird. Befeuert wird sie auch durch Müllers Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge, der immer wieder wortgewaltig die Interessen des Profifußball postuliert und Spiele wie gegen San Marino am liebste sofort abschaffen würde.
Gasperoni hat im Kern seiner Aussage also genauso recht wie Müller, mit seiner Feststellung, dass die Partie in Serravalle kein Profifußball-Charakter hatte. Nicht umsonst wurde sogar FIFA-Boss Gianni Infantino gebeten, sich zum Thema zu äußern. „Ich bin ein Fan des Fußballs allgemein. Und es ist die Magie des Fußballs, dass die Großen und die Kleinen dazugehören. Man muss immer sehen, was das beste System ist, um alle einzubeziehen“, sagte der Schweizer.
Bundestrainer Joachim Löw hatte sich das Müller-Interview auch noch einmal angeschaut und sprang seinem mit 83 Länderspielen erfahrensten Spieler im aktuellen Kader kompromisslos zur Seite. „Er hat gemeint, dass sie keine Profis sind, dass sie sich mit allen ihren Mitteln hinten reinstellen. Natürlich weiß man, dass sie alle Amateure sind, die einem Beruf nachgehen. Die ganzen Reaktionen sind überzogen. Wer Thomas Müller kennt, weiß, dass er ein fairer Sportsmann ist.“
Wer Müller kennt, weiß auch, dass er seinen Sport als Profi lebt und Herausforderungen liebt. Nicht mehr hatte er in San Marino gesagt. Und die Kurzzeit-Perspektive stimmt für ihn - denn mit dem FC Bayern geht es am Samstag zum BVB. „In Dortmund zu spielen, ist das schönste Spiel, das es in der Bundesliga gibt. Weil es da am schwierigsten ist zu gewinnen“, sagte Müller. Treu bleiben will sich der Oberbayer ohnehin: „Trotzdem werde ich auch in Zukunft meine Meinung ganz klar äußern, auch wenn ich Gefahr laufe, dass es mir um die Ohren fliegt.“