Nach Glückslos: Löws schneller EM-Feinschliff in Berlin
Paris (dpa) - Diesmal konnte Joachim Löw Paris mit einem guten Gefühl verlassen. Bei der Auslosung der EM-Gruppen haben die Weltmeister mit der Ukraine, Polen und Nordirland als Vorrundengegnern praktisch einen Freifahrtschein gleich bis zum Viertelfinale gelöst.
Dank des glücklichen Händchens von Frankreichs Ex-Star David Trezeguet erwarten Bastian Schweinsteiger und Co. bei der nächsten Titelmission im Sommer 2016 in Frankreich auch im ersten K.o.-Spiel noch kein Fußball-Schwergewicht. Da macht das erneute Kräftemessen mit Polens Bayern-Toptorjäger Robert Lewandowski keine Angst. Thomas Müller scherzte in Richtung des Kollegen: „Halt dich zurück gegen uns.“
Gleich am Sonntag startete Bundestrainer Joachim Löw nach der Rückkehr aus Frankreich bei einer Sitzung mit allen seinen Assistenten in Berlin das Fine-Tuning für den EM-Masterplan. Am Montag wird dann noch Teammanager Oliver Bierhoff zu dem Treffen der DFB-Trainer stoßen. „Wir sind Favorit, diese Rolle nehmen wir an, das ist unser Anspruch“, sagte der zuletzt leicht erkältete Löw nach der Zeremonie im nach den Terroranschlägen vom 13. November massiv bewachten Palais des Congrès.
Die beruhigende Botschaft im Paris-Gepäck: Erst in der Runde der letzten Acht könnte es für Fußball-Deutschland bei der EM zu einem Duell mit Rivalen der Kategorie Spanien oder Italien kommen.
Mehr als das schnelle Wiedersehen mit Polen oder den EM-Premieren gegen ultradefensive Ukrainer und Nordiren sorgte der Blick auf den Spielplan bei Löw und Bierhoff für erhöhte Aufmerksamkeit: Zwei Gruppenspiele in Paris, darunter das Polen-Spiel im Stade de France von St. Denis, konfrontieren die DFB-Stars schon in der Gruppenphase mit der Erinnerung an die in der Endspielarena erlebte Terrornacht.
„Das wird sicher nicht aus den Köpfen raus sein, was da alles passiert ist. Das wird man immer in Erinnerung haben. Das kann man vielleicht ein bisschen verdrängen. Aber irgendwann wird man damit wieder konfrontiert, wenn man nach Paris kommt“, meinte der bei seiner eigenen schnellen Rückkehr in die französische Hauptstadt ungewohnt angespannt wirkende Löw. Lächeln sah man ihn trotz der Glückslose praktisch nie.
Mit Sicherheit wird der Chefcoach seinen Teampsychologen Hans-Dieter Hermann gerade in die Vorbereitung des Polen-Spiels am 16. Juni (21.00 Uhr) intensiv einbinden. Denn sportlich soll die Rückkehr an den Ort der Angst keine Rolle spielen. „Ich denke aber nicht, dass es ein Nachteil ist, in dem Stadion zu spielen“, sagte Löw.
Am Sonntag saßen Löw und seine Assistenten schon in Berlin zusammen, um das Prozedere für das Trainingslager in Ascona und die Anreise nach Frankreich zu diskutieren. Vermutlich wird Löw seinen vorläufigen Kader gleich nach dem DFB-Pokalfinale am 23. Mai versammeln. Erst am 31. Mai muss er sich endgültig auf seine 23 EM-Spieler festlegen. Der Einzug ins Turnierquartier in Evian-les-Bains am französischen Ufer des Genfer Sees könnte am 6. Juni erfolgen - sechs Tage vor dem ersten Spiel.
„Ich bin weder hochzufrieden, noch unzufrieden. Wir nehmen es, wie es kommt“, sagte Löw. Der Bundestrainer will „absolute Aufmerksamkeit“ auf die Gruppengegner Ukraine, Polen und Nordirland richten. Für die letzten beiden Testpartien vor der EM sollen zwei Mannschaften ausgewählt werden, die eine ähnliche Spielweise wie die Gruppenkonkurrenten haben.
Angedacht ist offenbar, die am 17. November wegen Terrorgefahr in Hannover ausgefallene Partie gegen die Niederlande nachzuholen. Der andere Kontrahent sollte dann einen defensiven Spielstil pflegen, denn sowohl beim Auftakt am 12. Juni (21.00 Uhr) in Lille gegen die Ukraine als auch zum Vorrundenende im Pariser Prinzenpark gegen die Nordiren am 21. Juni (18.00 Uhr) erwarten Mesut Özil und Kollegen Teams mit massiver Abwehrbereitschaft.
„Die Ukraine hat sehr wenige Gegentore bekommen. Sie legen sehr viel Wert auf Defensive und Konterspiel. Damit müssen wir uns sicher auseinandersetzen. Nordirland hat einen eigenen Stil. Die Nordiren spielen körperlich stark, robust, kämpferisch, lauffreudig. Sie operieren viel mit hohen Bällen und haben kopfballstarke Spieler“, beschrieb Löw die beiden Kontrahenten, gegen die eine DFB-Auswahl noch nie bei einer EM gespielt hat.
Nur der Gruppensieg kann das Ziel sein. Dann wartet im Achtelfinale wiederum in Lille ein Dritter aus den Gruppen A, B oder F, die im neuen 24er Feld auch noch weiterkommen. Das wäre vermutlich die Kategorie Albanien, Rumänien, Slowakei oder Island. Als Gruppenzweiter würde die DFB-Elf in St. Etienne auf den Zweiten der A-Gruppe treffen - möglicherweise die Schweiz.
„Wir haben Glück gehabt, weil wir Italien vermieden haben“, erklärte Bierhoff - eine von vier Losassistenten. Gerade die Squadra Azzurra erwischte es hart. In Belgien, Irland und Schweden geht es gegen drei unangenehme Kontrahenten. Im Achtelfinale drohen Duelle gegen Portugal oder gar Spanien. Auch die Titelverteidiger haben mit Tschechien, Kroatien und der Türkei eine schwere Gruppe erwischt.
Fußball-Brisanz wird das Turnier reichlich bieten. Granit Xhaka von Borussia Mönchengladbach trifft mit der Schweiz auf seinen Bruder Taulant Xhaka, der für Albanien spielt. Für England und Wales kommt es in der Vorrunde zu einem brisanten britischen Bruderduell. Und in Polen ist man über das schnelle Wiedersehen mit dem Weltmeister wenig amüsiert. „Wir sind wieder verurteilt, gegen die Deutschen zu spielen!“, titelte das Nachrichtenportal TVN24.