Grindel unter Druck Nach Özil-Rücktritt: DFB weist Rassismus-Vorwürfe zurück
Frankfurt/Main (dpa) - Der Deutsche Fußball-Bund hat sich nach dem Rundumschlag des zurückgetretenen Mesut Özil energisch gegen Rassismusvorwürfe gewehrt.
Über 18 Stunden nach dem brachialen Abgang des Weltmeisters von 2014 samt Frontalangriff auf DFB-Präsident Reinhard Grindel bedauerte der Verband zwar die Entscheidung Özils, verteidigte sich aber deutlich gegen die massiven Anschuldigungen des Fußballprofis. „Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir (...) in aller Deutlichkeit zurück“, hieß es in dem am Montag verbreiteten Statement, das auf eine Telefonkonferenz des DFB-Präsidiums folgte.
Zu weiteren personellen Konsequenzen und der Zukunft des stark in der Kritik stehenden Grindel machte der Verband keine Angaben. Der 56 Jahre alte DFB-Chef, der derzeit im Urlaub verweilen soll, wurde in der veröffentlichten Mitteilung auch nicht zitiert. Nach der massiven Attacke Özils, die der Profi am Sonntag über die sozialen Netzwerke inszenierte, dürfte aber auch der CDU-Politiker um sein Amt fürchten müssen. Einzelne Politiker forderten in der Debatte um Integration bereits einen Rücktritt des DFB-Präsidenten, dem Özil „Inkompetenz und Unfähigkeit“ vorgeworfen hatte. Diesem wolle er nicht länger als „Sündenbock“ dienen.
Der DFB gestand in der schwelenden Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auch eigene Fehler ein. „Dass der DFB im Umgang mit dem Thema dazu auch einen Beitrag geleistet hat, räumen wir selbstkritisch ein“, hieß es in der Mitteilung. Dass Özil zum Ziel von rassistischen Parolen wurde und der Verband seinen Spieler nicht ausreichend geschützt habe, „bedauern wir“. Für den Verband dürften die turbulenten ersten Stunden nach Özils Abgang nur ein Vorgeschmack auf das gewesen sein, was nun folgt: eine schwere Verbandskrise, die weit über den Fußballplatz hinaus reicht.
Als ob die sportliche Aufarbeitung nach dem historischen Aus in der WM-Vorrunde in Russland nicht genug Sorgen mache, muss sich der DFB nun auch unbequemen Fragen stellen. „Der DFB steht für Vielfalt, von den Vertretern an der Spitze bis zu den unzähligen, tagtäglich engagierten Menschen an der Basis“, schreibt der DFB selbst. Gerade an der Spitze war davon beim internen Zerfall nach dem WM-Debakel nicht mehr viel zu sehen. Grindel und Manager Oliver Bierhoff gerieten mit Aussagen über Özil und dessen Rolle in Interviews scharf in die Kritik, der Ton wurde rauer, der lange Zeit schweigende Spielmacher des FC Arsenal immer mehr in eine Ecke gedrängt.
Özil befreite sich auf seine eigene Weise. Seine beispiellos offene Anfeindung war eine Abrechnung mit Land, Leuten und Kritikern, mit DFB-Sponsoren und Medien, mit dem Verband - und vor allem mit Grindel. Rassismus, Karrieregeilheit, Desinteresse, Propaganda - Özils Liste an Vorwürfen war lang, kommentieren wollte sie der DFB nicht. Für den Verband gehöre es „zum respektvollen Umgang mit einem verdienten Nationalspieler, dass wir manche für uns in Ton und Inhalt nicht nachvollziehbare Aussage in der Öffentlichkeit unkommentiert lassen“. Kein weiterer Brandherd, keine Reaktion auf die Provokation - so die offensichtliche Devise des DFB in dieser schweren Lage.
„Herausragende Leistungen“ habe Özil gezeigt, „eine erfolgreiche Ära mitgeprägt“, bedankte sich der DFB. Doch das Schweigen Özils nach den Bildern mit Erdogan und vor der WM, sowie das fehlende klare Bekenntnis zu den deutschen Grundwerten, das aber Ilkay Gündogan ausgewählten Medien abgab, ärgerte den Verband offenbar doch mehr als anfangs zugegeben. „Ein Bekenntnis zu diesen Grundwerten ist für jede Spielerin und für jeden Spieler erforderlich, die für Deutschland Fußball spielen“, schrieb der DFB. „Der DFB hätte sich gefreut, wenn Mesut Özil auf dieser gemeinsamen Basis weiter Teil des Teams hätte sein wollen“, hieß es. Doch Özil wollte nicht mehr, er wollte einen Abgang mit Knalleffekt.
Wie der DFB den zornigen Ausstieg Özils nun aufarbeiten wird, ist völlig offen. Sportlich ist der erste von Joachim Löws Weltmeistern abgetreten, doch weit mehr als bei der Kadernominierung dürfte das Özil-Beben auf die Strukturen im Verband und auch auf die EM-Bewerbung für 2024, bei der die Türkei einziger Gegenkandidat ist, wirken.
Noch bevor der DFB sich in der Causa Özil zu Wort meldete, war die Bühne im deutschen Fußball schon frei für Attacken und Schuldzuweisungen: Bayern-Präsident Uli Hoeneß gegen Özil, diverse Politiker wie Renate Künast (Grüne) gegen Verbandschef Grindel - gefühlt wetterte jeder erst einmal gegen jeden.
Mitten in die hochpolitische Debatte um Integration, Rassismus und gesellschaftliche Probleme platzte Chefkritiker Hoeneß. „Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist. Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt. Den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen. Und jetzt versteckt er sich und seine Mist-Leistung hinter diesem Foto“, sagte der Bayern-Chef in einem Kreis von Reportern vor dem Abflug des Clubs zu einer US-Tour über Özil.
Der Zentralrat der Muslime verteidigte den in Gelsenkirchen geborenen Fußballer. „Was da jetzt an Respektlosigkeit, Vorurteilen und auch an Rassismus über ihn (...) sich ergoss, das ist beispiellos und furchterregend“, sagte der Ratsvorsitzende Aiman Mazyek der Deutschen Presse-Agentur. Es werde immer nur Özil kritisiert, während der DFB außen vor gelassen werde. „Ich denke, das kann man nicht machen.“
Am Sonntag hatte der England-Legionär seine Bilder mit dem umstrittenen Staatschef Erdogan in den sozialen Medien wortreich verteidigt und politische Absichten bestritten. Der folgende Rundumschlag traf den DFB schwer und unvorbereitet. So schwer, dass Grindel und seine Präsidiumskollegen erst spät öffentlich reagierten - und sich dann in der verbreiteten Mitteilung nicht zitieren ließen. Vize-Präsident Rainer Koch schrieb auf Facebook: „Mit Nachdruck sind Angriffe gegen die DFB-Spitze zurückzuweisen, die die umfassende, seit vielen Jahren geleistete Integrationsarbeit des DFB (...) in Frage stellen und den DFB mit Rassismus in Verbindung bringen.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) respektierte am Tag nach dem Rücktritt Özils Entscheidung. „Die Bundeskanzlerin schätzt Mesut Özil sehr. Mesut Özil ist ein toller Fußballspieler, der viel für die Fußball-Nationalmannschaft geleistet hat“, sagte eine Regierungssprecherin.
Für Bundesaußenminister Heiko Maas gibt es in der schwelenden Affäre nicht den einen Hauptschuldigen. „Ich glaube, alle Beteiligten in der Causa sollten einmal in sich gehen. Ich sehe wenige, die nach meiner Wahrnehmung sich dort einigermaßen richtig verhalten haben“, sagte der SPD-Politiker. Rückschlüsse vom Fall Özil zum Stand der Integration in Deutschland möchte er nicht ziehen. „Ich glaube (...) nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland“, sagte Maas.