Analyse Özils Rücktritt: Nachbeben in einer verrückten Fußball-Welt

Mesut Özils Verflechtungen in Fußball und Wirtschaft sind gewaltig. Der Star ist in einer Weise gewachsen, die alle heillos überfordert hat. Jetzt bricht das Konstrukt filmreif zusammen.

Mesut Özil gab am Sonntag seinen Rücktritt bekannt.

Foto: Christian Charisius

Düsseldorf. Wenn alles durchdreht kommt am Ende auch noch Uli Hoeneß, und der hat es selten besser gemacht. Er sei froh, raunte der Präsident des FC Bayern München in die Blöcke der „Sport-Bild“ in Sachen Mesut Özil und dessen Zeit in der Nationalmannschaft, dass „der Spuk vorbei ist“. Der habe ja „seit Jahren einen Dreck gespielt. Den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen“, sagte Hoeneß, was eine heillose Fehleinschätzung ist, aber das war jetzt gerade auch noch egal, es schimpft sich ganz gut über Mesut Özil, und warum sollte dann ausgerechnet Uli Hoeneß fehlen?

Zumal dem konservativen Fußball-Präsidenten ja ohnehin auf die Nerven geht, was der moderne Fußball so hergibt. Hoeneß hat wohl schon bei dem für den vergangenen Sonntag fein austarierten dreiteiligen Tweet-Aufschlag von Özil Ausschlag bekommen. Und das wird auch nicht besser, wenn sich der bayrische Patron mit der Berater-Entourage von Özil auseinandersetzen sollte, die sich unter der Dachmarke „Özil Marketing“ zu sechst mit Sitz in Ratingen zusammengefunden hat und als Geschäftsführer Özils Bruder Mutlu Özil ausweist, Cousin Serdar scoutet für die Agentur.

Die Drähte der Ratinger zur ARP-Sportmarketing, die Harun Arslan gehört, sind vor allem über die Tätigkeit des Fußballers Özil in Großbritannien eng. Arslan wiederum berät den Bundestrainer Joachim Löw seit jeher in Vertragsfragen mit dem DFB. Eine Bindung, die Löw seit seiner Zeit bei Fenerbahce Istanbul pflegt und „sehr vertrauensvoll“ nennt. Arslan hatte Löw 1998 nach Istanbul vermittelt, es war sein Neuanfang nach dem ersten deprimierenden Rauswurf beim VfB Stuttgart.

Ob diese womöglich unheilvolle Allianz auch im aktuellen Fall Özil eine Rolle spielt? Auch das wird sicher Gegenstand der kommenden Tage sein. Löws Bindung zu Özil war immer stark, man erinnert sich an seine scharfe Äußerung im Dortmunder Fußballmuseum, er habe „keine Sekunde“ darüber nachgedacht, Özil nicht zu nominieren für die WM. Löw war beinahe beleidigt ob der Frage, die am Tag nach dem Erscheinen des umstrittenen Fotos von Erdogan mit Özil und Gündogan gestellt wurde. Also bitte!

Aber jetzt ist nichts mehr sicher voreinander, das Beben ist nachhaltig, erzeugt Nachbeben und ist von allem etwas: Ein Kommunikationsdesaster eines Verbandes, eine heillose Überfrachtung eines angeblich einfach gestrickten Fußballers, der immer Integrationsvorbild sein musste, weil das allen gut gepasst hat. Und somit ist es ein Totalzusammenbruch eines in sich seit einem Jahrzehnt wackligen Systems, in dem mit Lügen und Abhängigkeiten beidseitig viel verdient, aber wenig miteinander geredet wurde. Und zuletzt ist es auch eine Tragik, weil Özil ein außergewöhnlicher Fußballer ist und Weltmeister bleibt, der allein 2010 bei der WM in Südafrika mit der personifizierten Neuerfindung des deutschen Fußballs republikweit Anerkennung genoss. Wie viel Hass darf aus so viel Zuneigung eigentlich entstehen? „In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren“, schreibt Özil.

Jetzt werden die Leichen des bemerkenswerten Rundumschlags gezählt, der am Thema vorbei geht und stattdessen neue Baustellen eröffnet. Freilich sehr bewusst: Özils Leute wollen da manchen mit in den Abgrund reißen. Es ist eine unselige Melange aus Verbitterung und Rache, sicher aber auch eine überfällige Abrechnung mit Rassismus und Doppelmoral: Alles Themen von Berechtigung, aber eben auch im falschen Zusammenhang zum falschen Zeitpunkt ausgespielt. Sie werden trotzdem wirken:

Da ist vor allen der DFB-Präsident Reinhard Grindel, dessen kaum vorhandenes Ansehen Kellerwerte erreicht, weil der CDU-Politiker dem Zuschauer eher als typisch deutscher Karrierist gilt, der schraubt, wie er es braucht. Mal gegen Multikulti im Bundestag — Grindels Berliner Anschauungen von einst werden gerade munter zitiert —, dann Integrations-Vorreiter qua Amt beim DFB. Und jetzt der Totalzusammenbruch: Noch nie ist ein DFB-Präsident von einem Fußball-Weltmeister derart direkt angegangen worden. Es ist wie eine Explosion. Musste der Mann aus Rotenburg an der Wümme, DFB-Präsident seit April 2016, nicht einen solchen Faustschlag befürchten, als er von Özil eine „Erklärung“ nach dessen Urlaub verlangte?

Ob Grindels Rücktritt nach den Vorwürfen Rassismus, Karrieregeilheit, Desinteresse und Propaganda folgen wird, folgen muss, wird sich zeigen: Die Lust im DFB wird nach diesen Frontalangriffen groß sein, Grindel eher zu stärken denn zu opfern. Denn das Fußballgeschäft ist bisweilen auch von erstaunlicher Schlichtheit: Eifersucht und Missgunst werden flankiert von Reaktion und Gegenreaktion. Wenn du so, dann ich so, Revanchefouls allerorten — Özil selbst hat dafür am Sonntag nur ein Beispiel gegeben, und es werden weitere folgen in den kommenden Tagen. Man ist allein froh, dass die deutschen Talkshows in der Sommerpause sind und die Baslers und Matthäus’ wohl hoffentlich auch.

Was bleibt ist der Zoff mit DFB-Sponsor Mercedes (ab 2019 übernimmt VW), der sich Özils überragenden Social-Media-Werte zu eigen machen wollte und dann zum Ärger Özils stornierte, was einen ordentlichen Seitenhieb in Sachen Diesel-Skandal (!) nach sich zog. Er müsse sich erklären, kritisiert Özil, aber vom Sponsor verlange der DFB keine Erklärung dafür, dass er Autos mit illegaler Software verkaufe — das alles ist ein guter Beweis dafür, auf welcher Ebene hier geklagt und miteinander gestritten wird. Hängen wir die Sache vor allem in der Integrationsfrage dann nicht doch etwas zu hoch?

Ein weises Wort hat dazu der deutsche Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) gesprochen, als er Özil Eignung absprach, für eine Generation von Türken zu sprechen, die an Integration in Deutschland gehindert und darüber hinaus offen angefeindet würden. „Ich glaube (...) nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland“, sagte Maas. In diesem Fall heißt das: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten. Eine Forderung, die in dieser seit inzwischen deutlich mehr als zwei Monaten laufenden Debatte an ganz vielen Stellen furchtbar gut getan hätte.