WM-Casting mit Überraschung: Kramer statt Hahn
Hamburg (dpa) - Dem überschwänglichen Lob des Bundestrainers folgten bittere Nachrichten. Aber ein Trio um Überraschungsmann Christoph Kramer ist beim WM-Casting weiter dabei.
Am Tag nach dem größten Debütanten-Auflauf in der deutschen Länderspielgeschichte wurde der Mönchengladbacher Kramer anstelle seines künftigen Teamkollegen André Hahn in den offiziellen 30er-Kader von Bundestrainer Joachim Löw berufen und dem Weltverband FIFA gemeldet.
Der defensive Mittelfeldmann darf sogar gleich mit ins Trainingscamp nach Südtirol - ebenso wie seine beim 0:0 gegen Polen erstmals aufgebotenen Kollegen Kevin Volland (Hoffenheim) und Shkodran Mustafi (Genua). Dagegen müssen die Schalker Max Meyer und Leon Goretzka sowie der lange verletzte Hamburger Marcell Jansen zu Hause bleiben. Das Trio soll sich lediglich für Notfälle auf Abruf bereithalten.
Löw beließ damit drei der zwölf Neulinge, die in Hamburg gegen Polen erstmals das Adler-Trikot getragen hatten, in seinem nun noch 27 Spieler umfassenden Kader für die schwere WM-Titelmission in Brasilien. „Im zentralen Mittelfeld haben wir einige Spieler, die zuletzt ein wenig angeschlagen waren oder längere Pausen hinter sich haben. Wir wollen deswegen eine weitere Option mit ins Trainingslager nehmen“, begründete Löw die Über-Nacht-Veränderungen. „Und Christoph Kramer hat in Training und Spiel einen hervorragenden Eindruck hinterlassen.“
Mario Gomez, René Adler und Max Kruse hatte Löw ohnehin schon aussortiert. Am 2. Juni muss sich der Bundestrainer auf seinen endgültigen 23-köpfigen WM-Kader festlegen. „Das hat nichts mit der Leistung von André Hahn zu tun“, sagte er zur ganz harten Entscheidung. „Die Gründe sind rein positionsbezogen.“
Zwölf Neulinge in einem Match gab es vor dem 0:0 gegen Polen noch nie - nicht einmal beim allerersten Länderspiel des DFB im Jahr 1908 gegen die Schweiz (5:3) hatten mehr Debütanten auf dem Platz gestanden, denn zu dieser Zeit mussten die elf aufgebotenen Akteure noch durchspielen. Auch der Schnitt der Startelf von 21,45 Jahren sprengte alle bisherigen Altersgrenzen. „Wir haben ja fast mit einer U 21-Mannschaft gespielt“, sagte der Schalker Julian Draxler, der in seinem elften Länderspiel als Kapitän auflaufen durfte.
„Es ist natürlich klar, das war nicht der WM-Auftakt“, gestand Löw, der die Partie gegen eine ebenfalls nur zweitklassig besetzte polnische Mannschaft aber nochmals verteidigte. „Mir hat das Spiel auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht. Ich fand, es war ein unterhaltsames Spiel mit sehr hoher Intensität“, meinte der Bundestrainer für einige der 37 569 Stadionbesucher doch überraschend.
Bei den Frischlingen bleibt unabhängig von allen WM-Gedanken auf jeden Fall der Stolz. „Ich freue mich einfach riesig, dass ich mein erstes Länderspiel gemacht habe. Ich bin jetzt offiziell Nationalspieler, und die Gefühle sind einfach sehr schön“, erklärte der Noch-Augsburger Hahn.
Den beiden Innenverteidigern Mustafi (Sampdoria Genua) und Matthias Ginter (Freiburg), die mit beim weiteren WM-Casting dabei sind, stellte Löw ebenso wie dem zurückgestellten Offensivmann Meyer (Schalke) für ihre Premieren besonders gute Zeugnisse aus. Volland (Hoffenheim) hat als Stürmer mit die besten WM-Chancen der Neulinge. Als einziger Akteur ohne Länderspiel steht jetzt noch der Dortmunder Erik Durm im vorläufigen Aufgebot.
Für die endgültige Auswahl der dann nur noch 23 Brasilien-Fahrer will sich Löw „Zeit lassen“ - höchstwahrscheinlich bis zum Meldeschluss am 2. Juni um 24.00 Uhr. „Wir haben die Trainingseinheiten in Südtirol, einige Testspiele gegen die U 20, ein Spiel gegen Kamerun. Dann wird man die Gesamtsituation beurteilen. Wir werden versuchen, alle Positionen doppelt zu besetzen“, kündigte der DFB-Chefcoach nach dem Hamburger Vorbereitungs-Auftakt an. „Die Mannschaft muss ausgewogen sein. Es ist wichtig, dass es Konkurrenzkampf gibt. Ich will sehen, dass die Spieler um die WM-Tickets kämpfen“, betonte Löw.
Dass die Zuschauer in Hamburg viel Geduld hatten und nur am Ende angesichts der wenigen Höhepunkte der Partie zart pfiffen, war schon bemerkenswert. „Ich glaube schon, dass das Publikum ein gutes Gespür gehabt hat für diese junge Mannschaft und zufrieden war. Ich kann mir nichts anderes vorstellen“, erklärte Löw.
Mit dem DFB-Pokalfinale in Berlin, wo sich am Samstag sieben WM-Kandidaten des FC Bayern und sechs des BVB begegnen, beginnt für den Bundestrainer die echte WM-Vorbereitung. Gemeinsam mit seinem Trainerstab wird er im Olympiastadion überprüfen, ob seine beiden wichtigsten Team-Fraktionen die Vorgaben umsetzen: „Ich möchte da schon von allen sehen, dass sie diese Titelchance unbedingt wahrnehmen wollen und um den Pokal fighten.“
Am 21. Mai ist dann Treffpunkt im Passeiertal. „Da geht es richtig los“, sagte Bierhoff. Auch für Sami Khedira, der in Löws WM-Plänen eine herausragende Stellung einnimmt. Nach seinem Comeback für Real Madrid sieht Löw gute Chancen, seinen Mittelfeldorganisator trotz halbjähriger Verletzungspause noch rechtzeitig in Topform zu bringen. Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hatte nochmals bestätigt, „dass Knie und Muskulatur absolut in Ordnung“ seien, berichtete der Bundestrainer: „Ich glaube, dass wir einen Sami Khedira antreffen, der schon mit einer unglaublich guten Basis kommt.“