WM-Vorbereitung 4 aus 27: Auswahlverfahren wird verschärft - Bierhoff mahnt

Eppan (dpa) - Jetzt geht der Kampf um die WM-Plätze richtig los. Bei schönstem Urlaubswetter kamen die sieben Nachzügler einschließlich des noch verletzten Abwehrchefs Jérôme Boateng am Freitag im Trainingscamp der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Südtirol an.

Foto: dpa

Damit ist der Kader von Joachim Löw bis auf Toni Kroos, der am Samstag mit Real Madrid den nächsten Champions-League-Triumph feiern kann, komplett. Manager Oliver Bierhoff forderte vor dem ersten gemeinsamen Training des nun 26-köpfigen Aufgebotes in der Sportzone Rungg, zu dem 300 Kinder von Vereinen der Region Eppan eingeladen waren, volle Konzentration: „Es wird die schwierigste WM, weil wir werden gejagt sein. Alle haben Spaß daran, uns ein Bein zu stellen.“

In den nächsten Tagen wird sich auf dem Trainingsplatz und bei zwei Testspielen gegen die deutsche U20-Auswahl der Kampf verschärfen. Auf der einen Seite geht es für die vom Bundestrainer Auserwählten darum, sich im Ringen um die WM-Stammplätze zu positionieren. Andererseits will niemand die WM-Nieten ziehen und am 4. Juni nach Hause fahren müssen, wenn der Bundestrainer seine endgültigen 23 Akteure für Russland dem Weltverband FIFA übermitteln muss. „Ich hoffe, dass alle Spieler gesund bleiben und wir eine gute Entscheidung treffen können“, sagte Bierhoff.

„Ich habe keinem Spieler gesagt, dass er auf Bewährung da ist“, betonte Löw: „Ich wollte auch keinen verunsichern.“ Dennoch dürften sich Profis wie Länderspiel-Neuling Nils Petersen, die Leverkusener Jonathan Tah und Julian Brandt oder der Münchner Sebastian Rudy bewusst darüber sein, dass sie zu den Streichkandidaten gehören. „Die Trainingsqualität ist eine andere. Ich muss jeden Tag an die Grenze gehen“, berichtete der Freiburger Petersen über seine ersten Erfahrungen: „Ich versuche, auf dem Niveau mitzuschwimmen.“

„Er weiß natürlich auch, dass er noch nicht im finalen 23er-Kader ist. Insofern ist es für ihn auch eine Bewährungsprobe“, erklärte Bierhoff. Petersens Hoffnung, das Auswahlverfahren 4 aus 27 zu überstehen, sind seine speziellen Stürmerqualitäten im Vergleich zum Leipziger Shootingstar Timo Werner und zum Stuttgarter Routinier Mario Gomez. Der aus Wernigerode im Harz stammende Angreifer gilt als Top-Joker. Dieser Titel habe ihn wohl auch „hierher gebracht“, sagte Petersen auf der großen Bühne im Medienzentrum von Eppan.

Löw hat alle Eventualitäten in seinen Plänen. So werde bei den Stürmern Taktik und Spielweise in der jeweiligen Partie auch den Einsatz mitbestimmen: „Manchmal braucht man einen flexiblen Spieler, manchmal einen Zentrumsstürmer. Man muss die einzelnen Spielertypen unterschiedlich einsetzen“, bemerkte Löw. Auch den Dortmunder Marco Reus ordnet er zumindest teilweise mit in die Abteilung Angriff ein.

Für Reus geht es in Norditalien im Gegensatz zu den Wackelkandidaten darum, sich für die WM-Elf zu empfehlen. „Ich habe schon den Anspruch, dass ich der Mannschaft helfen möchte - auf dem Platz“, sagte der WM-Neuling, der wegen Verletzungen die WM 2014 und die EM 2016 verpasst hatte. „Zu Beginn des Turniers bin ich dann auch 29. Ich weiß, was ich kann“, sagte der Dortmunder selbstbewusst.

Natürlich wird die Fitness mitentscheiden, wer ab 14. Juni in Russland dabei sein darf. Von Weltmeister Boateng gab es „positive Zeichen“, berichte Bierhoff. Der Münchner war gemeinsam mit seinen Bayern-Kollegen Mats Hummels, Thomas Müller, Joshua Kimmich und Niklas Süle sowie Torwart Marc-André ter Stegen und Antonio Rüdiger am Freitag beim Training dabei. Allerdings muss Boateng nach seiner Muskelverletzung noch separat arbeiten. Manuel Neuer stand im Freitags-Training bei einem Kleinfeldspiel im Tor. Der Kapitän arbeitet nach achtmonatiger Wettkampfpause an seinem Comeback.

Von Boaengs Zustand dürfte abhängen, wieviele Abwehrspieler Löw mit nach Russland nimmt. Derzeit stehen allein sechs Innenverteidiger im Kader. Tah ist erster Streichkandidat in der Defensive. Aber auch Matthias Ginter (Mönchengladbach) und Süle (FC Bayern) können sich nicht hundertprozentig sicher sein, ein WM-Ticket zu erhalten. „Wir lassen die Trainingseindrücke wirken“, informierte Löw.

Vor der EM 2016 hatte Löws Auswahlverfahren zwei Profis getroffen, die auch dieses Mal dabei sind. Neben Karim Bellarabi durften Brandt und Rudy nicht mit nach Frankreich. 2014 verletzte sich im Training in Südtirol Lars Bender. Marcel Schmelzer, Kevin Volland und Shkodran Mustafi wurden gestrichen. Doch selbst die Aussortierung muss nicht endgültig sein, wie dann der Kader für Brasilien zeigte. Denn nach dem bitteren Verletzungs-Aus von Reus durfte Mustafi vor vier Jahren doch noch mit nach Südamerika fliegen und kam als Weltmeister zurück.