Trainingslager „Kein Zirkus“ in Südtirol: Löw braucht Topniveau

Eppan (dpa) - Das Tor zum Teamhotel schloss sich sofort wieder. Ein Blick auf Deutschlands Fußballstars blieb den rund 200 wartenden Fans verwehrt.

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Nur die aufgereihten Angestellten der Fünf-Sterne-Herberge „Weinegg“ konnten aus der Nähe beobachten, wie Joachim Löw bei der Ankunft mit moderner Sonnenbrille lässig aus dem Mannschaftsbus stieg. Oliver Bierhoff richtete wenig später im Innenhof des Luxusquartiers in Eppan den Blick nach vorne. „Man ist froh, dass es endlich mal losgeht“, sagte der Manager im malerischen Südtirol: „Jetzt können wir versuchen, diesen Teamgeist heraufzubeschwören, konzentriert und detailliert zu arbeiten.“

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Hinter einer langen, weißen Sichtschutzplane mit der Aufschrift „Die Mannschaft“ begann die Vorbereitung auf die Fußball-WM vom 14. Juni bis 15. Juli in Russland für Löws Auserwählte zunächst „noch relativ entspannt“, wie Bierhoff verriet. Ein bisschen einrichten im Quartier, zueinander finden, dann eine lockere Trainingseinheit am Nachmittag. „Ein einfacher Aufgalopp, dann wird man nach und nach die Spieler ein bisschen härter rannehmen“, verkündete der Manager.

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Vorerst werden 19 Spieler in der Großgemeinde Eppan zwischen den Montiggler Seen und dem Gantkofel, mit 1865 Metern höchster Berg der Region, an ihrer WM-Form arbeiten. Die Bayern-Spieler Jérôme Boateng, der nach einer Oberschenkelverletzung noch ein Aufbauprogramm absolviert, Mats Hummels, Joshua Kimmich, Thomas Müller und Niklas Süle sowie Torwart Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) und Antonio Rüdiger (FC Chelsea) kommen erst am Freitag nach Südtirol.

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„Es ist wichtig, dass sie noch einmal abschalten können. Wir denken ja lang und hoffen, zwei Monate zusammen zu sein“, sagte Bierhoff mit Hinweis auf das WM-Endspiel am 15. Juli. Toni Kroos bestreitet mit Real Madrid am Samstag noch das Champions-League-Finale. „Das Ziel ist natürlich klar, dass wir als amtierender Weltmeister auch den Titel verteidigen wollen“, untermauerte Bierhoff die WM-Ansprüche.

Die Zeit im Trainingscamp ist mitentscheidend für das Unternehmen Titelverteidigung. „Wir brauchen Spieler, die alle ein Topniveau erreichen“, sagte Löw. Die Pläne aus einer Mischung von Belastung und Regeneration werden individuell auf die Profis abgestimmt. Der US-amerikanische Fitnessexperte Mark Verstegen, den der einstige Bundestrainer Jürgen Klinsmann 2004 zum DFB gebracht hatte, übernimmt im Trainingslager wieder die Leitung des Konditionsprogramms.

Weit wichtiger als die in der Öffentlichkeit emotional diskutierte Frage, welche vier von den 27 Spielern im vorläufigem WM-Kader kein Ticket für Russland bekommen werden, sind für Löw andere Aspekte. Zuvorderst geht es um die Turniertauglichkeit von Kapitän Manuel Neuer und dessen Bayern-Kollege Boateng.

Eine WM-Garantie gibt es für Weltmeister Neuer, der nach seinem dritten Mittelfußbruch acht Monate kein Spiel bestritten hat, nicht. „Jogi hat es ja schon gesagt, dass er nur einen hundert Prozent fitten Manuel Neuer mitnehmen wird“, bekräftigte Bierhoff in Eppan.

Als ersten Schritt will sich die Sportliche Leitung um Löw nun selbst einen Eindruck davon machen, wo der 32 Jahre alte Ausnahme-Torwart steht. „Ich weiß, dass er unglaublich akribisch darauf hingearbeitet hat“, sagte Bierhoff mit Blick auf Neuers WM-Teilnahme: „Ich bin weiter optimistisch und positiv, dass er es auch schafft.“

Der Bundestrainer will in Norditalien seine WM-Formation auch taktisch für die erhöhten WM-Anforderungen präparieren. Mitfavoriten wie Spanien und Brasilien ist es jüngst in den Testspielen gelungen, den Weltmeister wirkungsvoll zu entschlüsseln. Das soll sich wieder ändern. „Wir haben im sportlichen Bereich Themen, die wir schon seit vielen, vielen Monaten bearbeiten. Da haben wir drei, vier wichtige Punkte“, bemerkte Löw. Defensive Stabilität, Effektivität und Variabilität werden dabei die entscheidenden Schlagworte sein.

Bierhoff sieht in der Urlaubsregion nahe Bozen „optimale Bedingungen“ für den WM-Feinschliff: „Da passt alles. Es ist ein guter Mix aus gewisser Lockerheit und Fokus. Kein Zirkus, aber trotzdem die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen.“ Schon der einstige Teamchef Franz Beckenbauer hatte 1990 seine Mannschaft in Südtirol bereitet gemacht für den Weltmeister-Titel.

Löw war mit seinem Aufgebot bereits 2010 und 2014 in Südtirol. Die Gastgeber sind mit rund 100 freiwilligen und festangestellten Mitarbeitern angetreten, dem Weltmeister jeden Wunsch zu erfüllen. Dazu kommen 80 Angestellte im Teamhotel. „Wir treten in Bestbesetzung an und machen aus unseren Stärken Rückenwind für den DFB“, sagte Arno Kompatscher, Landeshauptmann von Südtirol.