Beckenbauer: Deutsche Generation „reif“ für großen Titel
Rio de Janeiro (dpa) - Erst zum Halbfinale wird Franz Beckenbauer zur Fußball-WM nach Brasilien reisen - und hofft dann auch noch darauf, die deutsche Mannschaft im Turnier zu sehen. Auf „Fifty-Fifty“ schätzt die Fußball-Legende die Titel-Chancen von Joachim Löws Team ein.
Im Interview der dpa, das vor dem Bericht der „Sunday Times“ über Beckenbauers persönliche Geschäftsbeziehungen zu Katar geführt wurde, berichtet der 68-Jährige aus eigener Erfahrung, warum noch nie eine europäische Auswahl in Südamerika triumphiert hat, wer seine Turnierfavoriten sind und warum er ohne Sicherheitssorgen an den Zuckerhut fliegt.
Wie groß sind die Chancen von Joachim Löws Team auf den WM-Titel?
Beckenbauer:Fifty-Fifty. Es wäre mal an der Zeit, dass ein europäisches Team den Titel außerhalb Europas holt. Und wenn Europäer den WM-Titel gewinnen, dann setze ich auf die Deutschen. Für die aktuelle Spieler-Generation ist die Zeit reif, einen großen Titel zu holen.
Sie haben selbst bei der WM 1970 in Mexiko gespielt und waren dort 1986 Teamchef der deutschen Mannschaft. Warum hat noch nie ein europäisches Team in Südamerika den Titel gewonnen?
Beckenbauer:Die Südamerikaner bereiten sich unglaublich intensiv auf diesen Wettbewerb vor, die Brasilianer sowieso. Wie viele Freundschaftsspiele sie im Vorfeld machen! Auch die Chilenen, die bei uns gut gespielt haben und fast gewonnen hätten. Das gilt auch für die Uruguayer. Die Südamerikaner wollen die Macht auf ihrem Kontinent behalten, das merkt man auch an der Spielweise. Das macht es für die europäischen Mannschaften sehr schwer. Hinzu kommen die ungewohnten klimatischen Bedingungen - ein klarer Vorteil für die Einheimischen.
Ist Brasilien damit automatisch der Topfavorit?
Beckenbauer:Für mich schon. Brasilien gehört immer zu den Favoriten, und jetzt erst recht, wenn die WM bei ihnen zu Hause stattfindet.
Was muss Joachim Löw bei diesem Turnier anders machen?
Beckenbauer:Die Mannschaft hat zuletzt immer bei den entscheidenden Spielen verloren, bei der EM und bei der WM. Ein bisschen Pech war auch dabei. Auf dem Niveau braucht man halt das notwendige Quäntchen Glück, dass der entscheidende Pass kommt, dass der Ball an den Innenpfosten geht. Da spielen oft Kleinigkeiten eine Rolle. Wenn die Mannschaft diesmal das Glück auf ihrer Seite hat, dann schafft sie es.
Wie überrascht waren Sie, dass Ihr alter Weggefährte Berti Vogts im US-Team von Jürgen Klinsmann noch einmal auf die große Bühne zurückkehrt?
Beckenbauer:Die beiden passen perfekt zusammen. Berti war derjenige, der damals den Vorschlag gemacht hat, Jürgen als Nationaltrainer der deutschen Mannschaft zu verpflichten. Berti ist einer, der seinen Job kann, das hat er bewiesen. Er hat unglaublich viel Erfahrung.
Ein kurzer Blick auf die anderen Nationen. Gehört Spanien für Sie noch dazu oder sind sie schon nicht mehr unter den Favoriten?
Beckenbauer:Neben Deutschland gehört Spanien für mich nach wie vor zum Kreis der Favoriten. Argentinien genauso, auch Italien sollten wir nicht vergessen, die Italiener gefallen mir gut.
Wird es eine Überraschungsmannschaft geben, mit der keiner rechnet?
Beckenbauer:Das kann ich mir kaum vorstellen. Vielleicht wird Uruguay ein Wörtchen mitreden, die europäischen Mannschaften haben wir genannt. Mehr sehe ich nicht.
Kann England eine Rolle spielen?
Beckenbauer:Wenn Roy Hodgson die richtige Mannschaftszusammenstellung findet, dann ja. Die Engländer haben starke Talente. Aber momentan sieht es aus, als würden sie noch die richtige Aufstellung und Ausrichtung suchen.
Wie sieht Ihr persönliches WM-Programm aus?
Beckenbauer:Den Großteil der Spiele werde ich mir zu Hause anschauen. Ich habe ja keine offizielle Funktion mehr, also kann ich die WM in Ruhe genießen. Erst zu den Halbfinals werde ich nach Brasilien fliegen und mir dann dort auch das Finale anschauen.
Es gibt erst jüngst wieder Unruhen in Brasilien. Machen Sie sich Sorgen um die Sicherheit?
Beckenbauer:Ich glaube und hoffe, dass während der WM nichts passieren wird. Was wurde vor vier Jahren in Südafrika alles befürchtet - und dann ist gar nichts passiert, zum Glück. Trotzdem muss man aufpassen und darf nicht blindlings herumlaufen, das sollte man nirgends. Man muss sich an die Gepflogenheiten anpassen und sollte kein Risiko eingehen.
Vor einem Jahr haben sie die Botschafter-Rolle beim Football for Friendship-Projekt von Gazprom übernommen. Warum liegt Ihnen das am Herzen?
Beckenbauer:Weil Fußball - und Sport generell - Menschen über Grenzen hinweg vereint. Die Aktionen letztes Jahr in London und jetzt beim Champions-League-Finale in Lissabon waren große Erfolge. Wir haben hunderte junge Fußballer aus verschiedenen Ländern zusammengebracht, die unterschiedliche Sprachen sprechen, sich aber trotzdem bestens verstanden und total begeistert waren. Es ist eine schöne Kampagne. Deshalb wurde sie von acht auf 16 Länder ausgeweitet. Und es wird überlegt, die Zahl noch einmal zu verdoppeln. Wenn ich dabei als Schirmherr helfen kann, dass sich der tolle Erfolg fortsetzt, mache ich das gerne.
Zu den Prinzipien des Projekts gehört auch Frieden und Gleichheit. Inwiefern kann der Fußball Motor dafür sein?
Beckenbauer:Nelson Mandela war es, der gesagt hat: Sport has the power to change the world (Sport hat die Macht, die Welt zu ändern). Ein einfacher, aber sehr kluger Satz. Fußball ist ein wesentlicher Teil des Sports, und wir haben es schon zigmal erlebt, wenn wir über Integration reden: Man kann Kinder aus allen Nationen zusammentun, ihnen einen Ball geben, und schon fangen sie an, miteinander zu spielen. Da gibt es keine Sprachprobleme, die Hautfarbe spielt keine Rolle und auch nicht die Religion - sie spielen einfach. Und allein dieses Miteinander macht die Welt schon ein kleines Stück besser.
Russland richtet in den kommenden Jahren zahlreiche Großereignisse wie die Fußball-WM 2018 aus. Es gibt Kritiker, die sagen, dass ein soziales Engagement auch genutzt wird für wirtschaftliche und politische Zwecke. Was entgegnen Sie dem?
Beckenbauer:Wer sponsert, will auch etwas davon haben und Botschaften transportieren, das ist doch klar. Warum sollte jemand sein Geld für etwas hergeben, wenn er keinen Nutzen davon hat? Natürlich machen sich die Russen zum Beispiel auch Gedanken, wie sie bei der Fußball-Weltmeisterschaft ein gutes Bild abgeben können. Eine Fußball-WM ist die beste Gelegenheit für ein Land, sich der Welt zu präsentieren.
Ist aus Ihrer Sicht ein Engagement von Gazprom beim FC Bayern denkbar?
Beckenbauer:Denkbar ist alles. Aber ich glaube, Gazprom hat sich erst mal für Schalke entschieden hat. Ich weiß auch gar nicht, ob es überhaupt Sinn macht, sich in Deutschland bei mehreren Vereinen zu engagieren.
Es gab zuletzt öffentliche Kritik vor allem aus der Politik, als Schalkes Vorstandschef Clemens Tönnies Gedanken äußerte, in unbestimmter Zeit mit dem Team den Kreml besuchen zu wollen. Wie stehen Sie dazu?
Beckenbauer:Ich mag mich nicht auf politische Themen einlassen, das können andere besser. Es gibt jeden Tag diese Talkshows, in denen Wasserstandsmeldungen abgegeben werden. Natürlich bin ich politisch interessiert, aber ich fühle mich für den Sport zuständig, für Fußball, das ist mein Gebiet.
ZUR PERSON:Franz Beckenbauer (68) holte sowohl als Spieler 1974 als auch als Teamchef 1990 den Weltmeister-Titel. Die deutsche Fußball-Legende spielte die Libero-Position bei Bayern München, Cosmos New York und dem Hamburger SV.