Heiß auf Brasilien Belgiens historisches 3:2 als „Charaktertest“
Rostow am Don (dpa) - Die grenzenlose Freude von Belgiens Fußballern hielt noch bis tief in die Nacht im Flugzeug an. Matchwinner Nacer Chadli sprach sogar vom „besten Gefühl auf der ganzen Welt“.
Mit einem Kraftakt und einem historischen Comeback hat Mitfavorit Belgien das drohende Aus abgewendet und darf sich nach dem hochemotionalen 3:2 (0:0)-Sieg über Japan auf den ganz großen WM-Showdown mit Rekord-Weltmeister Brasilien freuen. „Als kleiner Junge träumst du von solchen Spielen. Wir können das von der ersten Sekunde an genießen“, sagte Trainer Roberto Martínez vor dem Viertelfinale gegen den fünfmaligen Champion am Freitag (20.00 Uhr) in Kasan.
Der Spanier hatte mit seinen Wechseln die Wende von 0:2 auf 3:2 eingeleitet. Erstmals seit 52 Jahren hat ein Team bei einer Fußball-WM einen Zwei-Tore-Rückstand in einem K.o.-Spiel gedreht und noch in der regulären Spielzeit gewonnen. „Wir wollten nicht verlieren und noch nicht nach Hause fliegen. Das gilt auch für das nächste Spiel“, bekundete Mittelfeld-Star Kevin De Bruyne. Der lange Zeit blasse Ex-Wolfsburger hatte den Bilderbuchkonter zur Entscheidung in der Nachspielzeit eingeleitet, Chadli als einer von zwei Martínez-Jokern vollendete die belgische Glückseligkeit.
„Brasilien ist einer der Turnierfavoriten, aber wir müssen nur auf uns schauen und unseren Job machen. Wenn du ein Turnier gewinnen willst, musst du jede Mannschaft schlagen“, sagte der 27 Jahre alte De Bruyne. Das Ziel ist klar: Am 15. Juli beim Finale in Moskau endlich die goldene Generation um De Bruyne mit dem Pokal zu krönen.
Das Comeback stärkt das ohnehin schon große Selbstvertrauen der Erben der Generation um Jean-Marie Pfaff, die es 1986 in Mexiko bis ins Halbfinale schaffte. „Jeder in Belgien muss extrem stolz sein auf diese Spieler“, sagte Martínez. „Ich könnte jedenfalls nicht stolzer sein.“ Anders als andere Topnationen gaben sich die Roten Teufel nicht auf, als die Lage aussichtslos schien. Kapitän Eden Hazard riss die Partie an sich, die Joker Chadli und Marouane Fellaini hauchten der totgeglaubten Mannschaft neues Leben ein.
„Es war ein bewegender Moment, als wir ins Turnier zurückgekehrt sind“, sagte Chadli über seinen Last-Minute-Treffer. Er hatte recht, gefühlt war der ewige Geheimfavorit schon wieder enttäuschend draußen. Doch Verteidiger Jan Vertonghen und Fellaini brachten die Martínez-Elf zurück, nachdem die Lage durch zwei Gegentore von Genki Haraguchi und Takashi Inui bereits aussichtslos erschien.
Auch die belgischen Medien erfreuten sich an dem spektakulären Comeback-Sieg ihres Teams. „Wir leben“, hieß es über einem Online-Artikel des Senders RTBF. Die Tageszeitung „Het Laatste Nieuws“ sah sogar schon ein „ein Match für die Geschichtsbücher“.
Dass ausgerechnet zwei Joker die Partie entschieden, unterstrich einmal mehr, dass Belgien über einen breiten Kader mit viel Klasse verfügt. „Wir haben Spieler auf der Bank, die ein Spiel verändern können“, stellte Anführer Hazard erleichtert fest. „Sie haben den Unterschied gemacht“, pflichtete Abwehrspieler Vincent Kompany bei und zollte der gesamten Truppe ein Lob: „Wir haben in einer ganz schwierigen Situation die Ruhe bewahrt und gezeigt, dass wir mental stark sind. Der Glaube ist wichtig.“
Der soll auch gegen Brasilien helfen. „Du musst akzeptieren, dass sie die beste Mannschaft im Turnier sind, und dann deine Rolle finden“, sagte Martinez. Das wollen seine Spieler gerne tun. Zumal ihnen die Rolle des Außenseiters offenbar besser liegt als die des Favoriten. „Natürlich haben wir an Wales gedacht“, sagte Hazard mit Blick auf das Aus 2016 gegen den Underdog. „Aber wir dachten auch, wenn wir treffen, sind wir wieder drin im Turnier. Die Reaktion war großartig. Vielleicht brauchen wir diese Spiele für die Zukunft.“
Auf jeden Fall beflügeln sie den Vize-Europameister von 1980 auf der Jagd nach dem großen Coup. „Ein 0:2 holst du nicht oft auf. Das spricht für die Leidenschaft und den unbedingten Willen. Das war ein Test für das Team, für den Charakter. Wir haben ihn bestanden“, sagte Martínez. Diese Eigenschaften sind auch gegen den Rekord-Weltmeister mit dem teuersten Fußballer des Erdballs gefragt.