Casillas: Beim Weltmeister weiter Nr. 1?
Salvador (dpa) - Bei Real Madrid ist er nur noch Teilzeit-Torhüter, in der Nationalmannschaft war er hingegen die unumstrittene Nummer 1 - dann erlebte Iker Casillas beim 1:5-Debakel gegen die Niederlande zum WM-Auftakt den wohl bittersten Abend im Trikot des Weltmeisters.
Nach der schleichenden Demontage in seinem Stammclub könnte auch die bislang unangetastete Position in der „selección“ gefährdet sein. Trainer Vicente del Bosque hatte noch vor dem WM-Auftakt gegen den vergangenen Final-Kontrahenten versichert: „Er ist unser Kapitän und Keeper.“ Dann aber patzte auch die Torwart-Ikone am Freitag mehrfach.
Der Ruf als unfehlbarer „Sant Iker“ hatte schon zuletzt gewaltig gelitten. Nicht nur bei seinen Club-Coaches José Mourinho und Carlo Ancelotti ist der „Heilige“ verstärkt in Ungnade gefallen, auch in den spanischen Medien häufte sich die Kritik, das dürfte nach den Fehlern gegen die Niederländer weitergehen.
Besonders bösartig stellte Lästermaul Mourinho die Real-Institution einmal bloß: „Ob nun Casillas im Tor steht oder ich, das macht keinen Unterschied.“ Der Portugiese betrieb auch die Verpflichtung von Diego López im Januar 2013 nach einer Verletzung Casillas' und machte den 1,96 Meter-Hünen gleich zum Stammtorwart. Dass auch der ruhige Ancelotti an diesem Ranking festhielt, überraschte etwas.
Aber Casillas ist nicht mehr so souverän wie vor ein paar Jahren. Seine Ruhe, seine glänzenden Reflexe auf der Linie und seine Kaltschnäuzigkeit in Eins-gegen-Eins-Situationen sind immer noch Weltklasse, aber beim Herauslaufen oder in der Spieleröffnung schwächelt der 33-Jährige - so wie beim 1:1 durch Robin van Persies Kopfball am Freitagabend. Das Tor erinnerte an Casillas' fatalen Patzer beim 0:1 im Champions-League-Finale gegen Lokalrivale Atlético, der beinahe „La Decima“ gekostet hätte. Auch beim 1:4 durch Robbie van Persie sah Casillas schlecht aus.
Sarkastisch formuliert, ist Casillas in seinem Club in allen Cup-Spielen gesetzt. Während der jahrelange Stammkeeper bei Punktspielen in der Primera División nur noch auf der Bank schmort, darf er für Real in der Copa del Rey und der Champions League immer ran. Kleiner Trost für den bei den „Königlichen“ zur Nummer 2 herabgestuften Casillas: In beiden Wettbewerben holte er mit Madrid den Pokal.
Und auch bei allen drei Titel-Triumphen der neuen Fußball-Großmacht Spanien stand er im Tor: 2008 und 2012 jeweils bei der EM sowie 2010 beim historischen ersten WM-Coup. In Brasilien würde er bei seiner vierten „Mundial“ gern den Titel verteidigen und den vierten Cup-Coup in Serie schaffen. „Hoffentlich können wir wieder aufleben lassen, was wir vor vier Jahren erreicht haben“, sagte Casillas vor dem Auftakt. „Der Stern motiviert. Unser Ziel ist es, einen zweiten Stern für unser Land zu holen. Es liegt in unserer Hand.“ Mit der Bescheidenheit und dem Ehrgeiz von Südafrika könne das Team den Titel verteidigen - nach dem völlig missratenen Auftakt deutet darauf jedoch nichts hin.
Seit nunmehr 14 Jahren spielt Casillas in der Nationalmannschaft. Mit 19 debütierte das Super-Talent gegen Schweden. Zwei Jahre später bei der WM in Japan und Südkorea stieg er dann zur Nummer 1 auf, weil sich Santiago Cañizares an den Scherben einer Parfümflasche verletzt hatte. Bei Real hatte er sich schon mit 19 etabliert.
Ein anderer Verein kam - und kommt wohl auch - nicht infrage. Der Vertrag läuft noch bis Saisonende 2017 mit Option auf Verlängerung. Casillas wuchs im Arbeiterviertel Móstoles auf. Sein Vater José Luis arbeitet im Erziehungsministerium, die Mutter besserte früher als Putzfrau das Familieneinkommen auf. Seine einfache Herkunft hat Casillas stark geprägt. Reichtum und Ruhm sind ihm nie zu Kopf gestiegen. Legendär ist sein Spruch: „Ich bin kein Galáctico, ich bin aus Móstoles.“
Für etwas Glamour sorgt allenfalls seine langjährige Beziehung mit der Star-Journalistin Sara Carbonero. Um die Welt ging, als er nach dem WM-Triumph in Südafrika seine Partnerin von Gefühlen überwältigt umarmte und vor zig Millionen Fernsehzuschauern küsste. Das Paar hat seit Januar einen Sohn namens Martin.