WM-Verschwörungstheorien - Schiedsrichter am Pranger
São Paulo (dpa) - Ein Witz! Betrug! Skandal! Sogar Verschwörungstheorien machten nach dem Elfmetergeschenk für Brasilien die Runde.
Die starken Kroaten fühlten sich bei der unglücklichen 1:3 (1:1)-Pleite gegen den Gastgeber zum WM-Auftakt in São Paulo jedenfalls mächtig verschaukelt - und rechneten mit dem japanischen Schiedsrichter Yuichi Nishimura ab.
„Ich bin stinksauer. Mein Team wurde betrogen“, schimpfte Trainer Niko Kovac. „Brasilien braucht keine Hilfe von den Schiedsrichtern. Wir hören besser auf und fahren nach Hause. Das FIFA-Logo ist Respekt, Respekt für beide Teams. Wir haben heute keinen erfahren.“ Und so hat der Fußball-Weltverband (FIFA) bereits nach den ersten 90 WM-Minuten eine heftige Schiedsrichter-Debatte, die sich nach strittigen Entscheidungen in den nächsten Partien am Freitag fortsetzte.
Referee-Obmann Massimo Busacca nahm den erfahrenen Nishimura in Schutz. „Es ist nicht Schwarz oder Weiß. Es gibt auch Zwischenstufen, und der Schiedsrichter muss die Gestik beurteilen“, sagte Busacca am Freitag in Rio de Janeiro. Es habe einen Kontakt mit beiden Händen zwischen dem kroatischen Verteidiger Dejan Lovren und Brasiliens Stürmer Fred gegeben. Dieser beteuerte in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme: „Das war ein klarer Elfmeter.“ Auch Franz Beckenbauer sprang dem Asiaten zur Seite. „Ich bin der Meinung, den Elfmeter kann man geben“, sagte Beckenbauer beim TV-Sender Sky Sport News HD.
In Kroatien gab es dagegen eine Welle der Entrüstung. „Der japanische Killer hat in den Rücken von Niko Kovac geschossen“, schrieb die kroatische Zeitung „Novi list“ am Freitag. Andere Blätter sahen „Schauspielerei“, einen „geschenkten Elfmeter“ und „Schiedsrichterhilfe“. In englischen Blättern war sogar von einem „furchtbaren“ Referee die Rede. Die französische Zeitung „Le Parisien“ sah „die erste große Panne des Turniers.“
Ein verwunderlicher Pfiff von Nishimura war an der ganzen Aufregung schuld. In der 71. Minute ahndete der Unparteiische aus Japan einen harmlosen Zupfer von Lovren am Trikot des theatralisch zu Boden stürzenden Fred mit Strafstoß. Mit seinem zweiten Treffer verwandelte Neymar den Elfmeter zum zwischenzeitlichen 2:1 für den wenig überzeugenden Rekordweltmeister. Die Entscheidung habe „etwas damit zu tun, dass wir in Brasilien spielen, beim Favoriten“, unterstellte Kovac.
Dies wies Busacca vehement zurück. „Das ist pure Fantasie“, schimpfte der Ex-Referee. „Ich habe im Spiel nur eine Sekunde Zeit zur Entscheidung. Dann ist es Team A gegen Team B, Spieler A gegen Spieler B. Da habe ich keine Zeit zu denken, ach, das ist Brasilien, da muss ich jetzt pfeifen“, sagte der 45-Jährige.
„Brasiliens Werk und Schiedsrichters Beitrag“ dichtete die österreichische Zeitung „Der Standard“. Selbst Kroatiens Premierminister Zoran Milanović sprach hinterher von mehreren „folgenschweren Fehlern“ des Schiedsrichters. Vor der Partie hatte die FIFA Nishimura noch als den erfahrensten Referee Japans angepriesen mit bisher fünf WM-Einsätzen in seiner Laufbahn. Nach dem Eröffnungsspiel witzelten Spötter: Wenigstens die WM-Premiere des Freistoß-Sprays habe der Asiate problemlos abgewickelt.
Der Außenseiter fühlte sich auch bei der Gelben Karte für den überragenden Doppeltorschützen Neymar, der Real Madrids Luka Modric mit dem Ellbogen eine mitgab, ungerecht behandelt. „Das war klar Rot, aber gegen zwölf Mann kann man nicht gewinnen. Wir wurden bestohlen“, erklärte Lovren und forderte die FIFA auf, Nishimura zu sperren. Busacca forderte dagegen mehr „Respekt“ für seine Unparteiischen.
Für die erleichterten Brasilianer schien die Angelegenheit eindeutig. Ein klarer Elfmeter, sagten Neymar und Co. unisono und versuchten die Kontroverse einfach wegzulächeln. Hauptsache gewonnen. Der WM-Start war schwer genug. „Für mich war es ein Elfer, ich habe die Szene jetzt zehnmal gesehen“, meinte auch Brasiliens Coach Luiz Felipe Scolari. Er könne die Reaktion von Kovac aber verstehen und hätte in dessen Situation das Gleiche gesagt. Thema abgehakt.
Für die FIFA hat dagegen auch bei dieser WM das Dauer-Ärgernis Schiedsrichter gerade erst begonnen - und das nach den zahlreichen Fehlentscheidungen bei der Endrunde 2010 in Südafrika.