Unter Druck gegen Schweden DFB-Team hat null Bock auf vorzeitigen Rückflug
Sotschi (dpa) - Gleich drei Weltmeister, einen Confed-Cup-Sieger und einen Routinier schickte Joachim Löw in die heiße Interviewrunde, um die kollektive Entschlossenheit seines Teams zu demonstrieren.
Die Goldene Generation in der Fußball-Nationalmannschaft um Sami Khedira und Mats Hummels will am Samstag gegen Schweden verhindern, dass sie nicht nur als Weltmeister von 2014, sondern auch als WM-Versager von Russland in die Historie eingeht. „Eine WM ist alle vier Jahre. Wir wollen uns so ein großes Ereignis in unserer Karriere nicht so schnell vermasseln lassen durch uns selber. Wir machen uns darum selbst einen Riesendruck“, erklärte der Münchner Hummels.
Die intensive, konträr diskutierte Aufarbeitung des Fehlstarts soll am Samstag (20.00 Uhr) in Sotschi zur Wende führen, auch wenn die Zweifel bei den Beobachtern vor Ort und den Fans daheim bleiben. „Wir haben uns nicht zerfleischt“, berichtete Khedira. „Wir haben endlich kapiert, dass wir nur noch Topleistungen bringen müssen“, sagte Hummels vor dem K.o.-Spiel schon am zweiten WM-Spieltag. Die Ausgangslage ist eindeutig: „Wir haben keinen Joker mehr, keinen Bonus mehr. Wir müssen gewinnen“, erklärte Khedira. Die Erkenntnis kommt spät, aber vielleicht noch nicht zu spät.
Mittelfeld-Organisator Khedira, der nach dem misslungenen Auftakt gegen Mexiko wie Nebenmann Toni Kroos und andere Kollegen heftig kritisiert wurde, wies am Donnerstag bei der Medien-Gesprächsrunde selbstgedruckte Lufthansa-Bordkarten eines schwedischen Reporters für den Rückflug von Sotschi nach Berlin gleich nach dem Schweden-Spiel konsequent zurück. „Herzlichen Dank“, sagte der Vizekapitän: „Aber die brauchen wir nicht. Wir wollen gewinnen. Auch wenn wir wissen, dass es super schwer wird.“ Khedira plant erst für den 16. Juli mit dem Rückflug aus Russland - es ist der Tag nach dem Finale.
Die kantigen Schweden sind heiß darauf, nach den Niederlanden in der Qualifikation sowie Italien in den Playoffs nun die dritte große Fußball-Nation in eine Krise zu stürzen. Seinen Auftakt in Russland absolvierte das Team von Trainer Janne Andersson gegen Südkorea (1:0) mit Bravour. Deshalb kann die defensivstarke Mannschaft um den Leipziger Emil Forsberg erst einmal abwarten. Löw und sein Stab sind gefordert, bessere taktische Lösungen zu finden als gegen Mexiko.
Der Bundestrainer gibt sich im brütend heißen Badeort Sotschi weiter entspannt. Vor der vorletzten Übungseinheit sprach der 58-Jährige auf dem Platz lange mit Kapitän Manuel Neuer. Auch der Chefcoach weiß um die gefährliche Situation. „Der Trainer ist sich des Ganzen bewusst. Aber er hat absolut keine übertriebene Panik“, berichtete Hummels.
Das zerbrechlich gewordene DFB-Ensemble sieht sich bereit für die vielleicht größte mentale Herausforderung seit Löws Übernahme des Chefpostens vor zwölf Jahren. Zwar beruhigte Hummels verbal die Fans zuhause: „Jetzt kommt die feste Überzeugung zurück, dass wir das in die richtigen Bahnen lenken, dass wir das drehen können.“ Doch ähnliche Willensbekundungen gibt es seit Monaten. Ob jetzt endlich auf Knopfdruck alles besser funktioniert, bleibt abzuwarten.
30 bis 40 Meter große Lücken gab es zwischen den Defensiv- und Offensivreihen gegen Mexiko. „Dann kann man es nicht verteidigen“, bemerkte Khedira. Es sei denn, der schnellste Mann der Welt stünde im Nationaltrikot mit auf dem Platz. „Da braucht man Usain Bolt und einen anderen Topsprinter, die das weglaufen können. Das schafft keiner von den Spielern, die wir hier haben“, sagte der Mann von Juventus Turin. Von den acht gegen Mexiko aufgebotenen Weltmeistern könnte der eine oder andere auch auf die Ersatzbank wechseln.
Es deutet jedoch mehr darauf hin, dass Löw seinen Führungskräften die Chance zur Wiedergutmachung gibt und nur der von einem Infekt genesene Jonas Hector sowie Offensivspieler Marco Reus neu ins Team kommen. „Die haben schon so viel in ihrer Karriere gewonnen, die wollen nicht in der Vorrunde ausscheiden, weil das für sie persönlich eine Niederlage wäre“, sagte der 22 Jahre alte Confed-Cup-Gewinner Werner über die Weltmeister. „Wir Jungen orientieren uns an solchen Spielern. Jeder weiß, worum es geht und jeder ist bereit, um sein Leben zu kämpfen.“
Ohnehin müssten nicht personelle Wechsel, sondern eine andere Einstellung und Ausrichtung für die Wende sorgen, betonte Khedira: „Es geht nicht darum, zwei Spieler raus und zwei Spieler rein. Wenn wir mit der gleichen Einstellung spielen wie gegen Mexiko, ändert sich nichts. Einzelschicksale und Egos dürfen nicht zählen.“
Als Mutmacher führte Stürmertrainer Miroslav Klose die knappen Vorrundenspiele in der Turnier-Vergangenheit an: „Wir haben unter Druck die besten Spiele gemacht. Jeder muss jetzt liefern.“ Khedira erinnerte an das mühevolle 1:0 im entscheidenden Gruppenspiel gegen Ghana 2010: Tor Mesut Özil. Und an das 1:0 gegen die USA vier Jahre später: Tor Thomas Müller. Beide könnten das nun wiederholen.
Die mögliche deutsche Aufstellung:
Neuer - Kimmich, Boateng, Hummels, Hector - Khedira, Kroos - Müller, Özil, Reus - Werner