WM Die dritte Elf — warum der Video-Schiedsrichter bei der Fußball-WM funktioniert
Schiedsrichter und Videobeweis funktionieren bei der WM besser als gedacht, auch wenn die Debatten nicht verstummen werden. Yussuf Poulsen schreibt fragwürdige WM-Geschichte als Fallbeispiel.
Samara. Die dänische Fußball-Nationalmannschaft hat sich zu ihrer Reisetour durch Russland eine Ausgehkluft zugelegt, die auch auf jede Beerdigung passen würde. Schwarzes Beinkleid, schwarzes T-Shirt, schwarze Jacke. Gleichwohl hat Yussuf Poulsen nicht wie ein Trauerkloß ausgesehen, als der Stürmer von RB Leipzig als einer der Letzten aus der Kosmos-Arena von Samara trottete. In zwei WM-Spielen jeweils einen Elfmeter zu verursachen, die erst die Kontrollinstanz aus dem fernen Moskau per Videobeweis verhängt: Das wird als Fallbeispiel in die WM-Geschichte eingehen.
Nach seinem ausgestellten Bein gegen Peru (1:0) bot ihm sein ausgestreckter Arm gegen Australien (1:1) kein Anlass zu grundsätzlicher Beschwerde, obwohl der 24-Jährige wenig dafür konnte, dass ihn der Bundesliga-Kollege Mathew Leckie (Hertha BSC) den Ball an die Hand geköpft hatte: „Wenn der Schiedsrichter das drei-, viermal in Slow-Motion sieht, dann ist der Ball an der Hand — dann kann man die Entscheidung verteidigen.“ Dass ihm der spanische Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz auch noch die Gelbe Karte - seine zweite des Turniers - unter die Nase hielt, weswegen er nun das entscheidende Gruppenspiel gegen Frankreich versäumt, sei „sehr bitter“. Ansonsten wollte auch der Hauptbetroffene das System mit dem Video-Assistenten (VAR) nicht als Teufelszeug verdammen.
In seiner Delegation zeigte sich gleichwohl der ganze Zwiespalt: Während Torschütze Christian Eriksen bekundete, „seit heute mag ich den Videobeweis nicht mehr“, bat Trainer Age Hareide darum, noch besser festlegen, „welche Szenen überprüft werden“. Generell sagte auch der Norweger zum dänischen Handstreich, den der spanische Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz nach dem Betrachten am Monitor ahndete: „probably correct“ (vermutlich korrekt).
Die Hälfte der bis Freitag bei dieser WM verhängten zehn Elfmeter kam durch Videobeweis zustande, schon jetzt deutet sich an, dass die Strafstöße deutlich mehr Einfluss nehmen, denn bei der WM 2014 hatte es insgesamt nur 13 gegeben. Überhaupt werden die von den Schiedsrichter verhängten Standardsituationen immer wichtiger. Auf diesem Weg kamen nach den ersten 23 WM-Spielen bereits 21 der 51 Treffer zustande. Zum Vergleich: Vor vier Jahren wurde nur jedes vierte Tor nach einem ruhenden Ball erzielt.
Nach der ersten Woche gab es noch kein krasses Fehlurteil, bei dem die ganze Welt Verschwörung wittert. Allerdings: Ägypten legte am Freitag wegen unterlassener Hilfeleistung der Video-Assistenten gegen die Wertung der Partie gegen Russland (1:3) Protest ein. Verbandspräsident Hany Abo-Rida sagte, der Videobeweis habe seinem Land nicht zu Gerechtigkeit verholfen. Brasilien sandte nach dem Spiel gegen die Schweiz (1:1) einen dreiseitigen Brief an den Weltverband und Fifa-Präsident Gianni Infantino, um die Herausgabe der aufgezeichneten Kommunikation zwischen Schiedsrichter und Video-Assistent einzufordern.
Symbolhafte, ja sinnfreie Aktionen, die ins Leere laufen und nichts am Gesamteindruck ändern: Bislang sind die Schiedsrichter besser als ihr Ruf. Selbst das durch die verschiedenen Nationalitäten befürchtete Kommunikationschaos ist nicht ausgebrochen. Wie viel Vielfalt die stark erweiterte Garde der Regelwächter einbringt, zeigte sich am Beispiel der Partie Spanien gegen Iran (1:0): Das Schiedsrichtergespann aus Uruguay, der Ersatzreferee und vierte Offizielle aus Chile, der im Fifa-Jargon Match Commissioner genannte Oberaufpasser aus Italien, das vierköpfige Team der Videoassistenten im Moskauer Kontrollraum kam aus Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Chile. Insgesamt elf Schiedsrichter aus sechs Nationen.
Dabei wirkt die „dritte Elf“ oft besser abgestimmt als jene zwei Mannschaften, die auf dem Platz oft nicht mehr als Durchschnittsware zustande bringen. Erstaunlich auch, was Irans Nationaltrainers Carlos Queiroz sagte, obwohl seinem Team der Ausgleichstreffer gegen Spanien aberkannt wurde: „Für die Glaubwürdigkeit des Fußballs ist der Videobeweis gut. Er kommt nur zehn Jahre zu spät.“ Noch ist die WM 2018 indes nicht in ihrer entscheidenden Phase, um die oft gescholtenen Pfeifenmänner aus allen Kontinenten zu den heimlichen Helden zu erklären. Bisher hat Fifa-Schiedsrichterkommission mit ihrem Chef Pierluigi Collina vorsichtshalber nur verlauten lassen, man sei „extrem zufrieden mit dem Niveau der Schiedsrichter und der erfolgreichen Einführung des Systems der Video-Assistenten, die insgesamt sehr positiv aufgenommen“. Es sei anerkannt, „dass es weiterhin geteilte Meinungen um bestimmte Entscheidungen geben wird.“ Yussuf Poulsen kann nur zustimmen.