Die nimmersatten Helden Spaniens
Die Prämie von 720 000 Euro für jeden Spieler beim Gewinn des WM-Titels empört die Bürger im Krisenland — und befeuert eine Diskussion über Moral.
Madrid. Der Fußball ist zweifellos das Thema, das die Nation des aktuellen Fußballweltmeisters Spanien am meisten in Wallungen bringt. Entsprechend schlug die Meldung, dass sich die spanischen WM-Kicker mitten in der tiefen Wirtschaftskrise des Landes eine exorbitante Rekordprämie von 720 000 Euro pro Kopf für den Titelgewinn sicherten, wie eine Bombe ein. Und verdrängte in den Bars und Büros sogar die heißdiskutierte Abdankung von Spaniens Skandalkönig Juan Carlos, des obersten Fußballfans der Nation.
Auch in den sozialen Netzwerken und in den Leserkommentaren der Sportzeitungen explodierte der Unmut in einem Krisenland, in dem sechs Millionen Menschen ohne Job dastehen und unzählige Familien in die Armut rutschten.
Und wo Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Sporteinrichtungen und Bibliotheken geschlossen werden, weil kein Geld mehr da ist. „Unmoralisch“ sei dieser übergroße Schluck der spanischen „selección“ aus der Prämienpulle, hieß es vielstimmig. Das Wort „Schande“ und „Skandal“ hörte man allerorten.
„Eine ungeheure Frechheit “, schreibt sich ein Anhänger der „roten Furie“, wie das Team im roten Trikot auch genannt wird, seinen Ärger von der Seele: „Angesichts der Krise, der Arbeitslosigkeit, mit Familien, die ihre Wohnungen verlieren, die in Spanien Hunger leiden — da sollte das spanische Team doch den Anstand haben und auf die Prämie verzichten. Oder sie wenigstens für karitative Zwecke spenden.“ Der Beifall der Straße dürfte diesem durchaus repräsentativen Wutausbruch sicher sein.
Eine Online-Umfrage der zweitgrößten spanischen Tageszeitung „El Mundo“ lässt keinen Zweifel, dass die iberischen Ballkünstler, ohnehin durchweg Fußball-Millionäre, dieses Mal ihre sonst so stolze Nation wohl nicht hinter sich haben: Gut 90 Prozent der Leser beantworteten die Frage „Ist die Prämie für den Titelgewinn übertrieben“ mit einem nicht zu überhörenden „Si“.
720 000 Euro für Casillas, Iniesta & Co — mehr als das Doppelte dessen, was den Kickern der europäischen Wirtschaftslokomotive Deutschland winkt. Sogar als Vize-Weltmeister kassieren die Spanier mit 360 000 Euro noch mehr als Philipp Lahms Männer, die als Champions auch nicht gerade zu verachtende 300 000 Euro einstreichen. Keine andere Fußball-Weltmacht kann mit dem spanischen Geldregen mithalten.
Spaniens heftig attackierte Prämienhelden schweigen derweil. Nur einer, Mittelfeldspieler Juan Mata, meldete sich zu Wort und klagte, dass nun zu Unrecht auf ihnen herumgeprügelt werde. Es gehe doch gar nicht ums Geld, sagte er mit Unschuldsmiene. „Wir kommen, um für unser Land mit gutem Fußball zu gewinnen — um erneut Geschichte zu schreiben“.
Doch dieser Appell an den nationalen Fußballstolz versöhnte Spaniens Fangemeinde vorerst nicht: „Wenn sie so sehr Spanien lieben“, tobte es an den Stammtischen, „dann sollen sie doch etwas mehr machen, als die WM zu gewinnen — und zwar solidarisch sein.“