Nach dem bravourös erkämpften Remis in Unterzahl gegen den Hamburger SV wich die Schalker Euphorie schon nach einer Stunde wieder einer Krisenstimmung. Kurz vor Mitternacht deutete Trainer Kees van Wonderen mit emotionalen Worten sein Aus beim Fußball-Zweitligisten an und übte dabei heftige Kritik an den Club-Bossen.
„Die vier Spiele, die diese Saison noch kommen, die muss ich optimal genießen“, sagte der Niederländer nach dem beachtlichen 2:2 (1:2) gegen den HSV. Also eine Abschieds-Tournee? Die Nachfrage, ob sein Aus bei Schalke im Sommer bereits beschlossen sei, verneinte van Wonderen zwar. „Aber für mich ist klar, dass ich nach dieser Saison nicht mehr hier bin. Alle Signale dafür sind da. Wenn wir auf demselben Weg wären, dann würde man sich besser austauschen.“
Auf die Frage, ob er damit Vorstandsboss Matthias Tillmann meint, antwortete der 56-Jährige: „Zum Beispiel.“ Er habe nach dem peinlichen 0:2 in der Vorwoche gegen den Tabellenletzten Jahn Regensburg mehr Rückendeckung erwartet, „stattdessen hört man nichts und es heißt hinter den Kulissen, dass es Zweifel gibt“. Das sei „enttäuschend“. Er könne mit Kritik umgehen, „aber wenn du zweifelst, kannst du lieber jemand anderen nehmen“.
Wie reagieren die Club-Bosse?
Die Zitate fielen nach der Pressekonferenz in einer kleineren Medienrunde und wurden unter anderem von „Bild“, „WAZ“ und „Reviersport“ übermittelt. Auf eine dpa-Anfrage gab es vom Club zunächst keine Stellungnahme dazu.
An einem Trainerwechsel dürften die Schalker Verantwortlichen spätestens nach van Wonderens überraschend offenen Worten nicht mehr vorbeikommen. Die Frage scheint nur noch, ob die Trennung erst nach Saisonende oder schon jetzt vollzogen wird. Laut „Bild“ soll es noch in der Nacht zu Ostersonntag erste Krisengespräche gegeben haben.
Die Club-Bosse inklusive des künftigen Sportvorstands Frank Baumann dürften die Aussagen kalt erwischt haben. Denn eigentlich hatte sich Schalke nach dem Remis gegen den HSV, das in der Arena aufgrund der frühen Roten Karte für Kapitän Kenan Karaman (3. Minute) und des späten Ausgleichstreffers von Torjäger Moussa Sylla (81.) wie ein Sieg gefeiert wurde, auf ruhige Wochen gefreut.
Raúl auf der Kandidaten-Liste
Sportdirektor Youri Mulder stärkte van Wonderen sogar den Rücken. Auf die Frage im Sky-Interview, ob auch der Trainer in der kommenden Saison in der sportlichen Verantwortung stehe, antwortete der Niederländer: „Na klar, natürlich.“ Auf konkrete Nachfrage reagierte Mulder aber genervt: „Hör' auf! Es geht immer jede Woche um diesen Trainer. Warum? Das verstehe ich nicht.“
Die Trainer-Debatte lässt sich jetzt aber nur noch mit einer Entscheidung aus der Vorstandsebene beenden. Gut möglich, dass der künftige Sportchef Baumann seine Arbeit ab dem 1. Juli mit einem neuen, unverbrauchten Cheftrainer beginnen will. Eine Entlassung kurz nach Saisonstart wie zuletzt bei Karel Geraerts und Thomas Reis will der Club mit aller Macht verhindern.
Aber wer könnte die schwierige Aufgabe beim ambitionierten, aber hoch verschuldeten Club übernehmen? Ex-Schalke-Trainer Domenico Tedesco soll schon eine Absage erteilt haben. Lukas Kwasniok, der den SC Paderborn nach Saisonende verlässt, soll mit einem Job in der Bundesliga liebäugeln. Gute Kontakte bestehen zum früheren Schalke-Spieler Raúl, der aktuell die zweite Mannschaft von Real Madrid coacht.
Van Wonderen schwärmt vom HSV-Spiel
Klar scheint aber, dass van Wonderens Zeit bei den Königsblauen abläuft - trotz Vertrags bis 2026. Der Anfang Oktober verpflichtete Coach hat zwar das Minimalziel Klassenverbleib so gut wie geschafft. Doch eine spielerische Weiterentwicklung war nur in ganz wenigen Partien zu erkennen. Dass das aber nicht nur am Trainer, sondern auch an einer verfehlten Kaderplanung liegt, ist eine viel geteilte Meinung im Clubumfeld.
Umso höher bewertete van Wonderen das Remis nach über 90 Minuten in Unterzahl gegen den spielstarken HSV. Sein Team habe „das Unmögliche geschafft“, schwärmte er. In zu viel Euphorie wollte der Trainer aber nicht verfallen: „Ich habe gelernt, nicht so weit vorauszuschauen.“ Diese Haltung wurde durch seine eigenen Aussagen kurze Zeit später bestätigt.
© dpa-infocom, dpa:250420-930-453373/1