Ortsbesuch Hoffen auf „Ägyptens König“: Salah im Spannungsfeld
Nagrig (dpa) - In seinem Geburtsort Nagrig im Nil-Delta ist Mohamed Salah allgegenwärtig. Ein Graffịto des an der Schulter verletzten Hoffnungsträgers der Ägypter für die Fußball-WM in Russland ziert die Wand des Jugendzentrums, das nach dem Star des FC Liverpool benannt ist.
Das Haus seines Vaters Hadsch ist zu einer Art Anlaufstelle geworden. Während der Stürmerstar um sein Comeback für die Endrunde kämpft, pilgern hunderte Menschen auch von weit her nach Nagrig, erzählen Nachbarn des Vaters mit dem populären Sohn im Dorf.
Salah ist nicht nur ein Nationalheld, seitdem er Ägypten zur ersten WM nach 28 Jahren geschossen hat. Mit seinem Last-Minute-Foulelfmeter (90.+5) beim 2:1 gegen die Republik Kongo erlöste er eine ganze Nation. „Ägyptens König“, wie Salah in seiner Heimat genannt wird, ist auch für seine Wohltätigkeit bekannt. Stundenlang warten dann manchmal Hilfesuchende vor dem dreistöckigen Haus von Hadsch Salah.
An diesem Tag bleiben dort die Türen verschlossen. „Die Stiftung kann der großen Zahl von Menschen, die aus ganz Ägypten nach Nagrig kommen, nicht helfen“, sagte Hassan Bakr von Salahs Stiftung der Deutschen Presse-Agentur. Die Unterstützung sei daher auf die Einwohner des 120 Kilometer nordwestlich von Kairo gelegenen Nagrig beschränkt, wo es an Infrastruktur und kommunaler Hilfe mangelt. „Er spendet schon so viel“, wurde Bürgermeister Maher Schtajeh jüngst in Medien zitiert. „Er ist aber ein Fußballspieler und weder Aladdins Wunderlampe noch ein Geschäftsmann.“
Man muss dem Bürgermeister widersprechen. Salah ist zwar zunächst ein Fußballspieler, ein überragender dazu. 42 Millionen Euro ließ sich der FC Liverpool im vergangenen Sommer die Dienste des 25-Jährigen, der zuvor bei der AS Rom spielte, kosten. Mit seinem Tempo und seiner Abschlussstärke gelang ihm mit 32 Treffern ein Torrekord in Englands Eliteliga. Dafür wurde er auch zum besten Spieler der Saison gewählt.
Seit seiner im verlorenen Champions-League-Endspiel gegen Real Madrid erlittenen Schulterverletzung fiebert ein ganzes Land mit Salah mit. Wird er rechtzeitig zu Ägyptens erstem WM-Spiel nach 28 Jahren am 15. Juni in Jekaterinburg gegen Uruguay fit? „Ich werde mein Bestes geben“, sagte Salah und ließ ein Land vorsichtig aufatmen.
Am Donnerstag dann das nächste Indiz für sein wohl absehbares Comeback: Salah traf nach einer Spezialbehandlung in Madrid in seinem Heimatland ein. Er wird nun erst noch Zeit mit seiner Familie verbringen, bevor er am Samstag in Kairo zur Nationalmannschaft stoßen soll. Tags darauf bricht der Tross zur WM auf.
Salah ist aber vielmehr. Salah ist eine Projektionsfläche. Die Hysterie um ihn am Nil kennt kaum Grenzen: Die Hotline einer Anti-Drogen-Kampagne verzeichnete Medienberichten zufolge vier Mal mehr Anrufer, nachdem Salah für sie warb. Und nach seiner Verletzung im Champions League-Finale fluteten Ägypter die Social-Media-Konten des spanischen „Übeltäters“ Sergio Ramos.
Präsident Abdel Fattah al-Sisi erkundigte sich dann auch höchst selbst per Telefon nach dem Gesundheitszustand des Liverpool-Stars. „Ich sagte ihm, dass er eine ägyptische Ikone geworden ist und dass ich das Gebet eines Vaters bete, dass sein Sohn sich schnell erholt“, ließ Al-Sisi über sein Twitter-Konto verbreiten.
Die autoritäre Führung in Kairo hat in Salah einen Helden gefunden, an dem sich die staatliche Propaganda bedienen will, um die Moral der Ägypter inmitten wirtschaftlicher Turbulenzen zu heben. Bei galoppierender Inflation braucht das Land dringend Erfolgserlebnisse - die Regierung hofft auch deshalb auf anhaltende WM-Euphorie, weil bald weitere Subventionen auf Sprit wegfallen sollen. Ein Thema, das die Volksseele in der Vergangenheit regelmäßig zum kochen brachte.
Nicht zuletzt ist Salah einer der Wenigen, der das Land eint. Ob Apparatschik oder Islamist, Muslim oder Christ, Teenager oder Greis: In Ägypten jubeln sie alle für den Jungen aus dem Nil-Delta. Sie alle sind stolz auf den Liverpooler Fangesang, der Salah als „Ägyptens König“ preist.