Kleine Ameise, alter Wolf: Zagallos phänomenale Karriere
Rio de Janeiro (dpa) - Wer wüsste mehr über den brasilianischen Fußball? Wer hat ihn so geprägt wie der „Professor“? Wer - außer Pelé - kann auf solche Erfolge verweisen? Mario Zagallo war zweimal Weltmeister als Spieler, einmal als Trainer und einmal als Assistenzcoach.
Brasiliens größtes WM-Debakel, das „Maracanaço“ bei der Heim-WM 1950 gegen Uruguay, hat er einst als Soldat im Stadion erlebt. Seine WM-Favoriten für diesen Sommer? „Ich sage mal: Brasilien, Argentinien, Deutschland, Spanien und Italien. Diese fünf Länder. Mal sehen, ob ich recht behalte oder nicht“, meinte der heute 82-Jährige kürzlich in einem dpa-Interview.
Ob Zagallo seine zweite Heim-WM als Zuschauer miterleben kann, ist ungewiss: Anfang der Woche wurde er in ein Krankenhaus in Rio de Janeiro eingeliefert. Nach Angaben seines Sohnes soll eine Entzündung an der Wirbelsäule mit Antibiotika eingedämmt werden.
Bis heute verneigen sich die brasilianischen Stars vor dem kleinen Mann mit dem schütteren grauen Haar. „Mit seinen vier WM-Titeln hat er eine Marke für die Ewigkeit gesetzt“, sagte Ronaldo. Zagallo war mit Brasilien auch noch Vize-Weltmeister 1998 und WM-Vierter 1974. 2006 gehörte er zum technischen Stab der Seleção. Von 110 Länderspielen unter seiner Regie gingen nur elf verloren. Neben Franz Beckenbauer ist er der einzige Fußballer, der als Spieler und Trainer den WM-Pokal hochhielt. Allerdings tat er dies im Gegensatz zum „Kaiser“ gleich zweimal (1958 und '62) als Spieler. 1970 triumphierte er als Chefcoach des südamerikanischen Fußball-Riesen.
„Die brasilianische Auswahl von 1970 ist unvergessen“, urteilte er. „Niemals wird sie mit einer anderen verglichen werden können.“ Der Mannschaft von Trainer Luiz Felipe Scolari traut Zagallo in diesem Sommer alles zu: „Brasilien spielt mit seinen Fans und wird Hexa (Sechsfach-Weltmeister) werden.“
An Rios Olympiastadion João Havelange, der Heimstätte seines Ex-Clubs Botafogo, steht seit dem vergangenen Jahr eine Statue Zagallos. Als Spieler wurde er „Formiguinha“ genannt, weil er wie eine „kleine Ameise“ auf dem linken Flügel wuselte. Er war die Nummer 11 im berühmten Angriff Garrincha-Didi-Vava-Pelé-Zagallo und steuerte beim 5:2-Finalsieg 1958 gegen Gastgeber Schweden ein Tor bei. Zagallo arbeitete als Trainer auch in Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien - seine wohl lukrativsten Jobs.
Sein glücklichster Moment als Trainer sei der WM-Triumph 1970 in Mexiko gewesen. Und wer glaubt, dass Forchecking und frühes Pressing eine Erfindung der Fußball-Neuzeit sind, der muss sich von Zagallo eines Besseren belehren lassen. Seine Mannschaft habe damals als rückständig gegolten, weil sie mit einem 4-2-4-System spielte, erinnerte er sich in einem Interview des FIFA-Wochenmagazins. Aber die Taktik ging auf. „Wir haben angefangen, schon an vorderster Front zu verteidigen. Der einzige Spieler, den wir nicht gedeckt haben, war der Torwart beim Abstoß.“
Der „Velho Lobo“ („Alte Wolf“), wie Mario Lobo Zagallo in seiner Heimat genannt wird, weiß dennoch wie kaum einer anderer, wie sich sein Sport verändert hat: „Der Fußball von heute ist sehr schnell, das Körperbetonte hat sich über die Technik gestellt. Es ist nicht so, dass es keine Technik gibt. Aber in der Vergangenheit stand die Technik über der Physis, es gab mehr Platz zum Spielen, der Fußball war schöner anzuschauen.“