DFB-Team in Sotschi Klimawandel in Jogis Wohlfühloase

Sotschi (dpa) - Cool, cooler, Jogi Löw. Frühmorgens flanierte der Bundestrainer wie ein Urlauber in kurzen Hosen und mit Sonnenbrille über die Strandpromenade von Sotschi.

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Entspannt lehnte sich der Frühaufsteher an eine Laterne und genoss die Sonnenstrahlen. Bereitwillig machte Löw ein Selfie mit einem russischen Jungen, der den Promi-Trainer aus Deutschland erkannt hatte. Was für eine Szenerie in Jogis Wohlfühloase im Ferienparadies am Schwarzen Meer, ein bizarr wirkendes Kontrastprogramm zur sportlichen Situation.

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Denn nur wenige Stunden später musste Oliver Bierhoff im Teamhotel bereits die Frage nach dem Ende einer goldenen Ära beantworten, ob eine Niederlage am Samstag (20.00 Uhr) im frühen Gruppen-K.o.-Spiel gegen Schweden alles wegwischen könnte, was in 14 Jahren seit dem Arbeitsbeginn des Managers und des Cheftrainers beim DFB aufgebaut worden sei. „Sind wir dann nicht mehr Weltmeister?“, fragte Bierhoff am Mittwoch irritiert zurück: „Seit 2004 haben wir einen unheimlichen Aufwind - und das ist dann alles nicht passiert, wenn man mal ein schlechtes Turnier macht?“

Noch ist es ja nur ein schlechter Start in die WM. Ein Fehlstart, der laut Thomas Müller „in den zwei richtig dicken Aufgaben“ gegen Schweden und Südkorea aus eigener Kraft korrigierbar ist. „Unsere Situation ist klar: Wir müssen die beiden Spiele gewinnen“, sagte Bierhoff. Und dabei soll auch der vorübergehende Umzug aus dem abgeschiedenen Watutinki in die Sommerfrische von Sotschi sorgen.

„Das ist ein guter Break von der Moskau-Zeit“, räumte sogar Bierhoff ein, der Löw Sotschi als WM-Stammquartier ausgeredet hatte. Die Rückkehr in das vom Confed Cup vertraute Luxushotel mit Meerblick soll einen positiven Klimawandel im Team auslösen, das nach dem 0:1 gegen Mexiko in internen Debatten einen gemeinsamen Kurs sucht.

„Wir werden die Spiele nicht gewinnen, wenn wir uns selbst zerfleischen und auffressen“, mahnte Müller. Die „Strandoptik“ könnte die Spieler aber vielleicht wieder „zur Höchstleistung treiben“, meinte der Münchner, auch wenn ihm die Quartierdebatte angesichts der sportlichen Extremsituation eher auf die Nerven geht.

Wenn alle so locker bleiben wie der Chef, dann müsste der wankende Weltmeister eigentlich in die Erfolgsspur zurückkehren. Bei Löw jedenfalls scheint das Sotschi-Gefühl wie ein Zaubertrank zu wirken. Der 58-Jährige wirkt nicht verunsichert, auch wenn er zum Handeln gezwungen scheint. „Irgendeinen Impuls wird es schon geben, aber das muss genau überlegt werden“, sagte Bierhoff: „Die Trainer werden sich Gedanken machen, was personell passiert, was taktisch passiert.“ Marco Reus etwa drängt sich als Offensivlösung auf. „Auf welcher Position, ist mir eigentlich egal“, sagte der Dortmunder.

Am Mittwochvormittag fand die erste Anpassung an die Sommerhitze im Olympiaort der Winterspiele 2014 statt. Und es ist so bizarr wie beim Confed-Cup-Erfolg vor zwölf Monaten: Abgeschirmt von Polizisten startete Löw im Disneyland-Ambiente den Feinschliff für das erste Endspiel gegen Schweden - mit dem von einem grippalen Infekt genesenen Außenverteidiger Jonas Hector. Vorne passten sich die Spieler in brütender Hitze auf dem Trainingsplatz die Bälle zu, während im angrenzenden Freizeitpark Urlauber im Riesenrad den Blick auf die Bergkuppen des Kaukasus genossen oder auf der Achterbahn durch Loopings rauschten. Nur schrille Schreie störten die Ruhe.

Löw muss herausfinden, wer dem extremen Druck standhalten kann, wer Frische und Form in den geheimen Übungseinheiten wiederfindet. „Leichtigkeit kann man nicht trainieren“, sagte Müller. Aber verlorene Stärken können reaktiviert werden, ebenso ein gemeinsames Vorgehen auf dem Platz. Nach der Krisensitzung des Vortages, nach der Kapitän Manuel Neuer eine gemeinsame Marschroute zum zentralen Ansatzpunkt erklärt hatte, wird daran aktiv gearbeitet.

„Wir sind dabei in dieser Woche, die Aufgaben klarer zu definieren“, verriet Müller und erläuterte die deutlichste Anforderung für das zweite Turnierspiel: „Jeder Spieler muss die Aufgaben, die seine Position betreffen, erfüllen.“ Löw lässt einen Plan erarbeiten, dem jeder folgen muss. „Die gemeinsame Sprache heißt weniger Ballverluste im Spielaufbau. Umso besser sehen wir als Team aus. Das sollte zielführend sein“, sagte Hoffnungsträger Reus. Der BVB-Star könnte für Julian Draxler ins Team kommen, aber auch für Mesut Özil.

Bierhoff sprach davon, dass „die Symptome erkannt“ worden seien. Das weltmeisterliche Vermögen des Teams müsse wieder aktiviert werden. „Wir haben ja die Fähigkeiten. Daran müssen wir nicht zweifeln. Wir müssen sie aber wieder abrufen“, sagte der Manager, dessen Ausweg aus der Krise so aussieht: „Wir müssen unser Spiel wieder dem Gegner aufdrängen.“ Bierhoff erwartet im Fischt-Stadion am Schwarzen Meer einen Abend, der mit Urlaubsflair nichts mehr zu tun hat: „Es wird kein Hurra-Spiel, es wird ein ganz harter Kampf. Und wir müssen gewinnen.“ Bis zum Anpfiff am Samstagabend aber kann Cool-cooler-Löw noch einige lässige Spaziergänge an der Strandpromenade unternehmen.