Die „Bierhoffisierung“ des DFB Nach WM-Aus: Oliver Bierhoff wird beim DFB die Macht behalten
Nicht nur Jogi Löw, sondern auch Oliver Bierhoff steht nach dem WM-Aus in der Kritik. Trotzdem wird er die Macht behalten. Er hat lang genug an seiner Legende gestrickt.
Watutinki. Das Quartier in Watutinki ist verlassen. Die Aufräumarbeiten aber sind noch im Gang. Kabel werden zusammengerollt, die meterhohen Werbefotos mit Özil und dem Bundestrainer abgehängt und verpackt, das Pressepodium wird abgebaut. Gabelstapler fahren umher, Kleinlaster werden beladen. Aber Watutinki wird dennoch ein Fanal für das missratene deutsche WM-Unternehmen bleiben. Diese Unterkunft, der Joachim Löw schon beim Bezug „den Charme einer guten, schönen Sportschule“ zuschrieb. Sie trug bei zum negativen Geist einer Mannschaft, die in Russland hilflos unterging.
Am Samstag soll der Trakt wieder für alle Hotelgäste begehbar sein, die Zimmer stehen dann zur Vermietung frei, dabei hatte der DFB alles bis zum 15. Juli gebucht. In der großen Empfangshalle des Hotels führen die Weg immer noch ins Pressezentrum, ein Getränke-Kühlschrank mit Restbeständen von Cola und Sprite ist noch da. Gerade wird das Podium mit den DFB-Insignien abgebaut. #ZSMMN war gestern, #Abbau ist jetzt.
Der „Ungeist von Watutinki“, das als Gegenstück zum Campo Bahia von der WM 2014 in Brasilien in die deutsche Fußball-Geschichte eingehen wird, offenbart auch die Disharmonien zwischen Löw und Kompagnon Oliver Bierhoff, die in der Quartierfrage schon lange vor dem WM-Desaster über Kreuz lagen. Haben sie als Duo noch eine gemeinsamen DFB-Zukunft?
Bei Fragen zum Quartier war Bierhoffs Gemütszustand vom Anfang in Südtirol bis in Kasan klar: Schnell auf 180. Selbst bei der Ankunft in Frankfurt. „Wenn Watutinki ein Problem sein sollte, dann ist das wahre Problem, dass es ein Problem ist“, sagte Bierhoff. Vielleicht gar nicht zu Unrecht, weil die Aussage darauf abzielt, wie verwöhnt Profifußballer mit allem seien. Aber ist Bierhoff daran nicht entscheidend beteiligt gewesen? Wer hat denn mit dem damaligen Projektmanager Jürgen Klinsmann angefangen, Sportschulen zu meiden und Luxus-Herbergen zu buchen — oder gar zu bauen? In Sotschi sagte Bierhoff mal unentspannt: „Ich gehe damit entspannt um.“ Der Manager hat jetzt neun Turniere logistisch organisiert. „Der böse Bube“ sei er häufiger gewesen. Bierhoff blieb standhaft: „Von der Logistik war es der beste Platz.“ Er wisse das.
Löw und Bierhoff. Zwei Männer, die viel bewegt haben. Sie verantworten eine große Vergangenheit und eine missglückte Gegenwart. Bierhoff will sich von „einem Misserfolg“ nicht alles zerreden lassen. „Es ändert nichts an dem, was die Spieler, Trainer und auch ich in den letzten 14 Jahren geleistet haben.“
Zusammen kamen sie nach dem EM-Vorrunden-Aus 2004 mit Reformer Klinsmann zum DFB. Bierhoff ist überhaupt der erste Nationalmannschafts-Manager in der Verbandsgeschichte. Sie haben Rückschläge erlebt und bestanden. Aber das Verhältnis hat sich in der Außenansicht verändert. Löw, der Entrückte. Bierhoff, der einsame Mahner, der Vermarkter, der Visionär.
Der inzwischen 50-Jährige hat sich anders entwickelt als Löw. Bierhoff ist jetzt DFB-Direktor, als Superminister im weltgrößten Fußballverband hochgejazzt, der wichtige Positionen mit seinen Leuten besetzt hat. Über 100 Mitarbeiter, Millionenetat, ein Macht- und Kraftzentrum in der Frankfurter Verbandszentrale. Sein Einfluss wuchs von Jahr zu Jahr, sein Vertrag wurde von DFB-Präsident Reinhard Grindel vor der WM sogar bis 2024 verlängert (Löw 2022). Sein Denkmal schafft sich Bierhoff gerade: Die über 150 Millionen Euro teure DFB-Akademie in Frankfurt. Ein Thinktank, der Fußball „Made in Germany“ in die Weltspitze — nun — zurückbringen soll.
Nach dem Vorbild des britischen St. Georgs Park. Englands Nachwuchs wird dort gebündelt, das Modell hat Vorbildcharakter in Europa, der WM-Titel bei der U17 und der U20 sowie der EM-Triumph in der U19 sollen die Basis für die Rückkehr der „Three Lions“ an die Weltspitze sein. In Staffordshire wurde für 119 Millionen Euro die Heimat der 28 Nationalteams mit 13 Trainingsplätzen aus dem Boden gestampft. England, das nie mit seiner Liga, aber immer mit seinem Verband als rückständig galt, hat nach jahrelanger Not einen Standard gesetzt. Der Höhenflug beginnt manchmal in der Hölle.
DFB-Präsident Grindel sagt auch jetzt: „Die Akademie unter Leitung von Oliver Bierhoff ist ganz wichtiges Instrument, um besser zu werden.“. Es wird schon von der „Bierhoffisierung“ des DFB getuschelt. „Wir brauchen den nächsten Masterplan“, meinte Bierhoff schon Anfang März. Er warnte als Erster vor dem Weltmeisterfluch, den das DFB-Team nach Frankreich 2002, Italien 2010 und Spanien 2014 mit dem Vorrunden-Aus in Russland fortschrieb. Mit seinem Spieler-Gen erkannte der Ex-Kapitän früh Fehlentwicklungen. Stoppen konnte er sie nicht, auch Bierhoff drang wohl zu Löw nicht mehr wie früher durch. Dabei erlebte er als Nationalspieler 1998 die letzten Tage von Berti Vogts als Bundestrainer mit, ebenfalls den Nationalteam-Zerfall bei der EM 2000.
Bierhoffs Leitmotiv lautet: „Wer mich kennt, weiß, dass Stillstand und das Gleiche über Jahre hinweg machen, nicht mein Ding ist.“ Er hat die Nationalmannschaft zu einer Marke stilisiert. Er verantwortet aber zugleich die Entfremdung zur Basis. Fans sind zu Kunden geworden, in der Vorbereitung in Südtirol durften sie kein Training besuchen. Marketing, PR-Slogans werden ihm nachgetragen. es heißt, das DFB-Raumschiff habe den Kontakt zur Erde verloren. In der Erdogan-Affäre um Özil und Gündogan versagten alle.
Grindel hat dem Manager die Turnier-Analyse aufgetragen. Er hat ihn in die Pflicht genommen. „Knallhart“ will Bierhoff bei der Aufarbeitung vorgehen. Weil er weiß, dass nur eine große Wende in der Arbeit und der Außenwirkung für die längst nötige Schubumkehr sorgen können. Bierhoffs und Löws Vorteil in der jetzigen Phase: Man traut beiden trotz des jüngsten sagenhaften Misserfolgs genau das zu: Sie haben lange an ihrem Ruf als rastlose und innovative Modernisierer gestrickt. Aber ist der überhaupt noch gerechtfertigt?