Wirbel um Fotos Kritik an Özil & Gündogan: Von Erdogan „missbrauchen lassen“
London (dpa) - Kurz vor der WM-Nominierung haben sich Mesut Özil und Ilkay Gündogan durch einen Auftritt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mächtig Ärger eingehandelt.
Fotos der deutschen Fußball-Nationalspieler mit dem Politiker in einem Hotel in London sorgten für Wirbel. DFB-Chef Reinhard Grindel reagierte mit harscher Kritik. Beide hätten sich für ein Wahlkampfmanöver „missbrauchen lassen“. Teammanager Oliver Bierhoff äußerte Unverständnis und kündigte eine Aussprache mit dem Duo an. Auch deutsche Politiker und die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierten die Mittelfeldspieler.
Gündogan zufolge sollte mit dem Auftritt keine politische Botschaft verbunden gewesen sein. „Es war nicht unsere Absicht, mit diesem Bild ein politisches Statement abzugeben, geschweige denn Wahlkampf zu machen“, teilte er mit. „Als deutsche Nationalspieler bekennen wir uns zu den Werten des DFB und sind uns unserer Verantwortung bewusst“ erklärte Gündogan weiter. „Fußball ist unser Leben und nicht die Politik.“ Am Dienstag will Bundestrainer Joachim Löw das vorläufige Aufgebot für die WM in Russland bekannt geben.
Nach einem Putschversuch im Sommer 2016 hatte Erdogan einen Ausnahmezustand in der Türkei verhängt. Grundrechte sind eingeschränkt, Erdogan kann weitestgehend per Dekret regieren. Er ging rigoros gegen Kritiker vor. Erdogan will sich am 24. Juni erneut zum Präsidenten wählen lassen. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft. Um Wahlkampf zu machen, hielt Erdogan sich in London auf.
„Der DFB respektiert und achtet selbstverständlich die besondere Situation unserer Spieler mit Migrationshintergrund“, teilte DFB-Präsident Grindel via Twitter mit. „Aber der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichend beachtet werden“.
Die in Deutschland aufgewachsenen, türkischstämmigen Profis Özil und Gündogan ließen sich nicht nur gemeinsam mit dem Politiker ablichten, sondern überreichten ihm zudem Trikots ihrer Clubs FC Arsenal und Manchester City. Özil sendete zudem einen Tweet, der ihn offenbar bei dem Treffen mit Gündogan und dem ebenfalls türkischstämmigen Cenk Tosun vom FC Everton zeigt und schrieb auf englisch „in guter Gesellschaft heute Abend“, versehen mit einem zwinkernden Gesicht sowie der deutschen und türkischen Fahne.
Man habe den Präsidenten auf einer Veranstaltung einer türkischen Stiftung getroffen. „Aus Rücksicht vor den derzeit schwierigen Beziehungen unserer beiden Länder haben wir darüber nicht über unsere sozialen Kanäle gepostet“, betonte Gündogan. „Aber sollten wir uns gegenüber dem Präsidenten des Heimatlandes unserer Familien unhöflich verhalten? Bei aller berechtigten Kritik haben wir uns aus Respekt vor dem Amt des Präsidenten und unseren türkischen Wurzeln - auch als deutsche Staatsbürger - für die Geste der Höflichkeit entschieden.“ Auf dem Trikot, das Gündogan an Erdogan überreichte, steht handschriftlich über der Signatur auf Türkisch: „Für meinen verehrten Präsidenten - hochachtungsvoll“.
DFB-Teammanager Bierhoff sagte: „Die beiden waren sich der Symbolik und Bedeutung dieses Fotos nicht bewusst, aber natürlich heißen wir die Aktion nicht gut und besprechen das mit den Spielern.“ Er betonte auch: „Ich habe nach wie vor überhaupt keine Zweifel an Mesuts und Ilkays klarem Bekenntnis, für die deutsche Nationalmannschaft spielen zu wollen und sich mit unseren Werten zu identifizieren.“
Sportpolitisch ist der Auftritt pikant, da die Türkei einziger DFB-Konkurrent um die Ausrichtung der EM 2024 ist, die am 27. September von der UEFA vergeben wird.
Von deutschen Politikern erhielten die beiden Spieler viel Kritik. „Das, was die zwei da vorgelegt haben, spottet jeder Beschreibung, das geht gar nicht“, meinte der Grünen-Politiker Cem Özdemir. „Ich erwarte von den beiden, dass sie sich jetzt klar äußern, sich distanzieren.“ Sie hätten sich „hergegeben für eine billige Propagandashow für einen Despoten, für einen autoritären Herrscher“.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, zeigte sich „sehr“ irritiert. „Spieler unserer Nationalmannschaft sollten sich genau überlegen, ob sie sich wirklich von einem Autokraten so im Wahlkampf instrumentalisieren lassen wollen“, schrieb er. Die AfD-Politikerin Alice Weidel findet, Özil und Gündogan sollten nicht zum deutschen Kader für die Fußball-WM gehören. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion schrieb auf Facebook: „Gündogan & Özil zuhause lassen!“
Die stellvertretende Linksfraktionschefin Sevim Dagdelen warf den beiden ein „grobes Foul“ vor. „Im Londoner Luxushotel mit dem Despoten Erdogan zu posieren und ihn auch noch als „meinen Präsidenten“ zu hofieren, während in der Türkei Demokraten verfolgt und kritische Journalisten inhaftiert werden, ist ein grobes Foul“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, meinte, Profisportler sollten ihre Bekanntheit lieber dazu nutzen, um sich für die inhaftierten Journalisten in der Türkei einzusetzen.