Vor Auftaktspiel Mexikos Fans begegnen „Alptraum“ Deutschland mit guter Laune
Mexiko-Stadt (dpa) - Wer mexikanische Fußball-Fans nach Deutschland fragt, bekommt als erste Reaktion meist hochgezogene Augenbrauen zu sehen.
„Alemaaaania“, sagt Marisol langsam und reißt dabei die Augen weit auf, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmet. Sie pinselt mit grüner Farbe einen Streifen auf einem nachgebildeten WM-Pokal aus Plastik nach.
In ihrem Kofferraum stapeln sich die Replikas der Trophäe, die sie vor dem Testspiel zwischen Mexiko und Schottland auf dem Parkplatz des Azteken-Stadions in Mexiko-Stadt verkauft. „Deutschland ist unser Alptraum“, sagt die 27-Jährige. „Da haben wir noch nie gewonnen und werden es auch diesmal nicht, aber ich werde es trotzdem ansehen.“ In einer WM-Begegnung war El Tri gegen Deutschland tatsächlich noch nie erfolgreich. Nur in einem Testspiel 1985 gab es einen 2:0-Erfolg.
Bei der anstehenden WM glaubt das Land jedoch nicht wirklich an einen Erfolg der El Tri gegen die deutsche Mannschaft. 27 Prozent der Teilnehmer favorisierten bei einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Mitofsky im Februar die Deutschen. Mexiko als Gewinner der Partie gaben lediglich 17 Prozent an.
Bei der Frage, wer das Turnier letztendlich gewinnen wird, antworteten 26,7 Prozent der Teilnehmer: „Alemania“. Nur 13,5 Prozent der Befragten sahen Mexiko selbst als möglichen WM-Titel-Sieger. Spanien räumten die Mexikaner mit 11,7 Prozent die drittgrößten Chancen ein.
Mexikaner lassen sich nicht die Stimmung vermiesen. Selbst bei einem Freundschaftsspiel werden sämtliche Fan-Register gezogen: Hüte, Umhänge, Shirts, Glitzerfarbe in den Nationalfarben für das Gesicht und Puppen von Stürmerstar Chicharito gibt es auf dem Parkplatz vor dem Stadium zu kaufen. Ein findiger Fußball-Anhänger hat einen echten Adler dabei - für ein paar Pesos kann mit dem Wappentier posiert werden.
„Ich glaube, das Achtelfinale ist schon möglich“, sagt ein Fan mit dem landestypischen Sombrero auf dem Kopf und einer Dose Bier in der Hand. Mexiko werde gegen Südkorea und Schweden, die zwei weiteren Gruppengegner, erfolgreich sein. „Aber gegen Deutschland eher nicht.“ Die Mannschaft sei einfach zu stark und gut organisiert. Er freue sich aber trotzdem schon auf das Aufeinandertreffen.
Fußball ist mit Abstand der beliebteste Sport in Mexiko. Laut einer Mitofsky-Umfrage von Januar dieses Jahres erklärten 58 Prozent der Erwachsenen, Fußball-Fan zu sein und regelmäßig Spiele live und im TV zu verfolgen. Dahinter folgten bei der Beliebtheit mit rund 35 Prozent Boxen und mit 25 Prozent Baseball. Die spannendste Liga hat laut der Befragten Spanien - die Bundesliga landet erst auf dem fünften Platz, hinter der englischen Premier League, der brasilianischen Série A und der mexikanischen Primera División.
So sehr die Mexikaner ihre Teams lieben, kann die gute Laune bei einem schlechten Spiel dann aber auch schnell in wüste Beschimpfungen umschlagen, wie die Anthropologin Elisa Godínez erklärt. Die Wut treffe dann auch die großen TV-Sender, die die Übertragungsrechte haben oder die mexikanische Fußball-Federation - viele Mexikaner sehen diese als korrupt und mehr am Geld als an einem guten Spiel interessiert an, so Godínez.
Sie sieht die Mexikaner weniger fußballverrückt als Argentinier oder Brasilianer. „Die Begeisterung wächst erst Stück für Stück“, so die Anthropologin. Eine Erklärung für die geringere soziale Bedeutung des Fußballs in Mexiko als beispielsweise in Argentinien liege demnach auch in der Migrationsgeschichte der Länder: Fußball wurde in Süd- als auch Zentral- und Nordamerika von europäischen Einwanderern importiert. In Mexiko seien die Europäer aber nie, wie zum Beispiel in Argentinien in der Überzahl gewesen, so Godínez. Die Begeisterung habe so langsamer Wurzeln geschlagen.