Nur Löw bestimmt seine Zukunft - „Jogi macht es super“

Belo Horizonte (dpa) - „Tiefenentspannt“ sei er, dazu „ausgeglichen, konzentriert und absolut selbstbewusst“. Mehrmals schon hat Joachim Löw das betont bei dieser besonderen Weltmeisterschaft in Brasilien.

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Vor dem Gruppenfinale gegen die USA (1:0), vor dem Achtelfinale gegen Algerien (2:1) und auch vor dem Viertelfinale gegen Frankreich (1:0). „Wir haben uns intensiv vorbereitet auf alles. Was Jogi hier macht, ohne sich von Sachen von außen beeinflussen zu lassen, wie er ruhigbleibt, das ist super“, sagte sein Assistent Hansi Flick nun vor dem spektakulären Halbfinale gegen Brasilien.

Nie war Löw unabhängiger in seinem Tun, in seinen Entscheidungen, in seinem Auftreten als in diesen Tagen rund 9000 Kilometer von der Heimat entfernt. Seit acht Jahren ist der Freiburger inzwischen der wichtigste Fußballtrainer des Landes und hat das Nationalteam zweifelsfrei wieder dauerhaft zurück in die Weltspitze gebracht.

„Ich sehe überhaupt keine Abnutzungserscheinungen“, erklärte Verbandschef Wolfgang Niersbach, der schon lange vor der Brasilien-WM den Vertrag mit Löw bis zum EM-Sommer 2016 verlängert hatte. Tägliche Debatten über die Zukunft seines Chefcoaches wie vor vier Jahren in Südafrika wollte der DFB-Präsident in Brasilien unbedingt vermeiden.

Dennoch wurde an den Stammtischen und in den Medien heftig über Löws Rolle und seine Arbeit diskutiert und spekuliert. Der 54-Jährige lieferte dafür auch reichlich Stoff. Kurz vor dem Turnier änderte er das in der Qualifikation erfolgreiche Spielsystem. Er hielt lange verletzten Spielern wie Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose die WM-Tür offen. Er verschob dafür seine Prinzipien, verzichtete auf offensive Außenverteidiger, holte einen zuvor schon ausgemusterten WM-Neuling doch noch in den Kader, nahm bis auf Klose keinen echten Stürmer mit, stellte vier Innenverteidiger in die Abwehrkette und Kapitän Philipp Lahm zunächst ins Mittelfeld.

Löw wurde von seinen Kritikern wie nach dem 1:2 im EM-Halbfinale 2012 gegen Italien bereits wieder Sturheit und Beratungsresistenz vorgeworfen. „Manchmal nimmt man diese Dinge auch wahr, aber als Trainer kann man nicht immer alles über den Haufen werfen“, konterte der Bundestrainer mit der besten Punktebilanz in der DFB-Geschichte. „Ich verfolge eine klare Linie und werde diese nicht der öffentlichen Meinung anpassen, nur um dieser Meinung zu entsprechen“, ergänzte Löw: „Veränderungen nehmen wir dann vor, wenn wir aus den Spiel- und Trainingseindrücken sowie unserer Analyse das Gefühl haben, dass Veränderungen notwendig sind.“

„Er ist schon im Tunnel“, bestätigte sein Vertrauter Flick vor dem Hit gegen WM-Gastgeber Brasilien am Dienstag in Belo Horizonte. Der Co-Trainer räumte zugleich ein: „Natürlich musst du dich ein bisschen abschotten, um in diesen Tunnel reinzugehen.“

Nicht nur Löws Team ist beim Turnier in Südafrika zu mehr Defensiv-Organisation und Ergebnisdenken zurückgekehrt, wie es viele Spieler intern gefordert hatten. Auch der Trainer hat sich in seinem vierten Turnier als Chef noch mehr auf die Ausbeute fokussiert. „Wir haben einfach ein Ziel, das ist die Weltmeisterschaft. Ein gutes Turnier zu spielen“, berichtete Flick und schloss an: „Das macht Jogi ausgezeichnet. Er lässt sich vom Treiben drumherum nicht mitnehmen, macht das ganz ruhig, kommuniziert mit uns Trainern und mit den Spielern. Dann legen wir gemeinsam die Philosophie, den Matchplan fest. Das hat in den ersten fünf Spielen hervorragend funktioniert.“

Löws Konzept ist trotz einiger Wackler voll aufgegangen: Wieder einmal Halbfinale wie bei der Heim-WM 2006, als er noch Assistent des damaligen Bundestrainers Jürgen Klinsmann war, der EURO 2008, dem Worldcup 2010 und der EM 2012. Der Freiburger entscheidet jetzt allein, wie es mit ihm nach der Brasilien-WM weitergeht. Von der öffentlichen Meinung hat sich Löw längst unabhängig gemacht: „Ich als Trainer sollte nicht schauen, was viele sogenannte Bundestrainer schreiben und sagen, welche Meinung sie haben.“

Geärgert hat er sich trotzdem über die zurückhaltende Wertschätzung nach dem Viertelfinalsieg gegen Frankreich. Zumal sich Löw in den ersten K.o.-Runden durchaus bewegt hat. Nie zuvor sah man ihn so oft und so heftig mit seinem Assistenten Flick diskutieren wie bei den Spielen in Brasilien. Bundestorwartcoach Andreas Köpke hatte auf „kontroverse Diskussionen“ im Trainerstab verwiesen.

„Das war vorher genauso wie jetzt auch“, bemerkte Co-Trainer Flick zwar: Sein größeres Engagement am Spielfeldrand sei nur darauf zurückzuführen, dass dies die vierten Schiedsrichter jetzt erlauben würden. „Das ist einfach eine Aufteilung, die wir so haben, man nutzt es natürlich.“ Auch Oliver Bierhoff helfe ihm manchmal mit seiner Sichtweise, bemerke Löw: „Am Ende bin ich es, der die Entscheidungen trifft. Manchmal muss ich dabei einfach meiner Intuition folgen.“

In einigen Dingen, wie beim intensiveren Einstudieren von Standardsituationen, scheint Flicks Meinung Löw dennoch mehr beeinflusst zu haben. „Das hat ja funktioniert“, sagte der Assistent. „Da ist absolut großes Vertrauen und Loyalität. Wir kommunizieren gut miteinander. Letztlich werden alle, natürlich auch das Team, mitgenommen“, ergänzte der zukünftige DFB-Sportdirektor. Würde dieser Posten für Flick nicht schon feststehen, könnte man sich inzwischen sogar das gleiche Szenario wie 2006 vorstellen: Da hatte Chef Klinsmann seinen Job an seinen loyalen Assistenten Löw übergeben.