Ganz Russland gegen Spanien Sbornaja will „die Sportwelt schocken“
Moskau (dpa) - Falls die Sbornaja irgendwo in Russland einen Heimvorteil hat, dann im Luschniki-Stadion. Funkelnd steht die aufwendig renovierte Arena am Ufer der Moskwa im Glanz der Sommersonne.
Dort will der Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft an diesem Sonntag (16.00 Uhr MESZ) gegen Spanien den großen Coup landen. „Das WM-Achtelfinale ist wie ein Märchen“, schwärmt Stürmer Artjom Dsjuba voller Pathos. „Der Unterschied: Für Spanien ist eine solche Partie Alltag, für uns das Spiel des Lebens. Wir sollten bereit sein, unser Leben auf dem Spielfeld zu lassen!“
Acht Jahre lang stand Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow hier einst bei Spartak Moskau im Tor. „Mein Stadion“ nennt der schnauzbärtige Coach die imposante Sportstätte. 78.011 Zuschauer sollen seine Mannschaft zum Sieg tragen - wie im Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien, als es ein überraschendes 5:0 gab.
Spanien gibt sich gelassen. „Meine Mannschaft ist gewohnt, vor großer Kulisse zu spielen. Gegen Marokko haben auch Tausende den Gegner unterstützt“, sagte Nationaltrainer Fernando Hierro am Samstag. „Das Spiel entscheidet sich auf dem Platz, nicht auf den Rängen.“
Russland muss allerdings auf Kremlchef und Oberfan Wladimir Putin als Tribünengast verzichten. Der Terminkalender des Staatspräsidenten lasse einen Besuch im Luschniki-Stadion nicht zu, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow. Spanien kann auf seinen König als Glücksbringer setzen: Felipe VI. hat sich angekündigt. Die Gefolgschaft der iberischen Fans ist hingegen überschaubar: An das Gastgeberland Russland wurden nach einem Ranking der FIFA insgesamt 871.797 Tickets verkauft, Spanien liegt mit nicht einmal 13.000 unter ferner liefen.
An Motivation wird es dem Weltmeister von 2010 auf dem Rasen nicht mangeln: Schließlich geht es für das Team um Kapitän Sergio Ramos nicht nur ums Weiterkommen. Der spanische Verband hat eine Rekordprämie von 825.000 Euro pro Kopf für den Titel ausgelobt. Eine sechsstellige Summe gibt es allerdings erst mit dem Einzug ins Viertelfinale.
Für Fernando Hierro, der als bisheriger Sportdirektor zwei Tage vor Turnierbeginn überraschend zum Nachfolger von Julen Lopetegui befördert wurde, steht seine Zukunft als Nationaltrainer auf dem Spiel. Der 50 Jahre alte langjährige Real-Madrid-Profi hat seine Fähigkeiten als Fußballlehrer noch nicht unter Beweis stellen können: Der starke Auftritt beim 3:3 gegen Portugal wird noch Lopetegui zugerechnet, beim 1:0 gegen Iran und 2:2 gegen Marokko konnte die Seleccíon nicht überzeugen. „Jetzt fängt eine neue Phase an“, sagt Hierro vor dem ersten K.o.-Spiel.
Seine Vereinbarung mit dem Verband gilt bislang nur für die WM. Und Hierro muss sich täglich mit Kritik auseinandersetzen. „Ich habe genügend klare Dinge für das Spiel gegen Russland im Kopf“, versichert der 89-malige Nationalspieler. „Wir wissen, wie Russland spielt. Die bevorzugten Angreifer, die hohen Bälle, die sehr gefährlich sind. Außerdem spielen sie in ihrem Stadion mit ihrem Publikum. Aber unsere Jungs sind voller Hoffnung und trainieren sehr gut.“
Die Russen können als Außenseiter befreit aufspielen. Nur wenn die Mannschaft 300 Prozent gebe, habe sie eine Chance, sagt Angreifer Dsjuba. „Achtelfinale bei der Heim-WM: Das wird es für uns nie mehr geben. Es ist ein Traum - und wir sollten uns dieses Traums würdig erweisen. Lasst uns die Sportwelt schocken.“ Erstmals seit dem Ende der Sowjetunion 1991 steht Russland in der Runde der 16 Besten.
Ein 3:3 trotzte Russland den Spaniern in einem Testspiel im November ab - für Tschertschessow kein Gradmesser. „Das war noch Spanien unter Trainer Julen Lopetegui. Sein Nachfolger Fernando Hierro hat Änderungen vorgenommen, die deutlich zu sehen sind.“ Seine Mannschaft werde ihre Chance suchen. „Ich sage: Es ist schwer. Ich sage nicht: Es ist unmöglich“, meint der frühere Torhüter von Dynamo Dresden.
Die russische Mannschaft habe durch die Niederlage gegen Uruguay (0:3) keinesfalls den Glauben an sich verloren. „Natürlich fühlen wir vor einem solchen K.o.-Spiel große Verantwortung“, sagte Tschertschessow - „aber die spürt Spanien auch.“