Sommermärchen-Gefühle holen US-Trainer Klinsmann ein
Natal (dpa) - Adrenalingeladen bis zum Maximum kamen bei Jürgen Klinsmann wieder Sommermärchen-Gefühle auf. Als wolle er die Szenen des deutschen WM-Heimspiels nachstellen, wirbelte der Hauptdarsteller von 2006 bei seinem Comeback auf der großen Bühne herum wie ein nimmermüder Hamster im Laufrad.
Allerdings diesmal in neuer Rolle als US-Nationaltrainer. Statt Joachim Löw griff sich Motivator Klinsmann nach dem 2:1-Sieg seiner Amerikaner zum WM-Auftakt gegen Ghana Mittelfeldspieler Alejandro Bedoya, den er mit einer herzhaften Umarmung fast zu zerdrücken schien. „Das war ein Genussmoment, sehr besonders“, kommentierte Klinsmann seine Gefühlsausbrüche.
Sein erstes WM-Spiel seit 2006, damals noch als Trainer der deutschen Nationalmannschaft, wurde in Natal gleich zu einem Erfolgserlebnis. Und der umjubelte Held war ausgerechnet einer von Klinsmanns Küken - John Anthony Brooks. Der 21 Jahre junge Bundesliga-Bubi aus Berlin nickte in der 86. Minute einen Eckball von Graham Zusi zum 2:1 ein. „Es ist unglaublich, ein großartiger Moment für mich“, jubelte der Verteidiger, der zur zweiten Halbzeit für den verletzten Matt Besler in die Partie kam. Brooks schrieb bei seinem WM-Debüt sogleich US Fußball-Geschichte - als erster Einwechselspieler, der ein Tor erzielte.
Der Profi von Hertha BSC lief nach seinem Kopfball-Aufsetzer wie in Trance über den Platz und fiel letztlich kopfüber auf den saftigen Rasen des Estadio das Dunas. In den USA avancierte er über Nacht zum Sporthelden. „Sein Torjubel wird für immer ein Klassiker der US-Fußball-Geschichte sein“, hieß es in der „Sports Illustrated“. Brooks sei „der größte Amerikaner seit Abraham Lincoln“, war auf seiner englischen Wikipedia-Seite zu lesen.
Nach der Partie verriet der schüchterne 1,94 Meter-Mann Mitspielern und Medien, dass er zwei Nächte zuvor noch von seiner siegbringenden Aktion geträumt hatte. Er sah sich in der 80. Minute bei einem Eckball hochsteigen und zum entscheidenden Tor einköpfen. Letztlich war Brooks in der 86. Minute zur Stelle. „Ein Traum wird wahr für Brooks“, lautete die Schlagzeile bei ESPN.com.
Geschichten wie diese lieben sie in den USA. „From zero to hero“ - vom Unbekannten zum Helden. Und wer kannte zwischen New York und Los Angeles schon vorher John Anthony Brooks? Als Klinsmann am 22. Mai seinen 23er WM-Kader präsentierte, waren viele überrascht, als sie den Namen des Berliners lasen. Zu jung, zu unerfahren, war selbst die Meinung der Experten. Klinsmann hingegen wusste um Brooks' Qualitäten. Guter Pass, ruhig in seinen Aktionen, kopfballstark. „Die Frage war nur, ist er jetzt schon bereit für eine WM oder braucht er noch ein oder zwei Jahre“, sagt Klinsmann.
Viele Gespräche mit Hertha-Trainer Jos Luhukay sowie Manager Michael Preetz hätten ihn dann aber überzeugt, dass Brooks bereit sei für die große Bühne, so der Coach. Und der Debütant enttäuschte nicht. „Das war keine leichte Situation für ihn, in solch einer Partie zur Pause reinzukommen. Aber er hat sofort ins Spiel gefunden. Und das er stark bei Standards ist, wussten wir“, lobte Michael Bradley.
Klinsmann sprach von einem „großen Moment für Brooks, etwas ganz Spezielles für den Jungen“. Brooks beendete den acht Jahre anhaltenden Fluch der Amerikaner gegen Ghana. 2006 und 2010 hatten die Westafrikaner die US-Boys jeweils mit Niederlagen nach Hause geschickt. Doch diesmal jubelten die „Yanks“ - erst auf dem Platz und anschließend gemeinsam mit US-Vizepräsident Joe Biden in der Kabine.
Vor der Partie hatte das Team noch beste Wünsche von ganz oben bekommen. „Auf geht's, Team USA. Zeigt der Welt, aus welchem Holz wir geschnitzt sind“, bekannte US-Präsident Barack Obama in einer Videobotschaft und twitterte zugleich: „Elf auf dem Platz, mehr als 300 Millionen feuern sie an.“ Kapitän Clint Dempsey erzielte nach nur 30 Sekunden das fünftschnellste Tor bei einem Fußball-Weltturnier. André Ayew (82.) gelang der Ausgleich - und dann kam Brooks.
Gegen Portugal könnten die Amerikaner am kommenden Sonntag (Ortszeit) im Optimalfall schon den Achtelfinal-Einzug klarmachen. „Aber sie werden nach dem 0:4 gegen Deutschland noch gefährlicher sein als zuvor“, warnte Klinsmann. Von seinem ehemaligen Team zeigte er sich angetan: „Wir können ihnen nur ein großes Kompliment machen, so in ein Turnier zu starten. Das war eindrucksvoll.“