Turniertrainer Löw gibt das WM-Motto vor
Santo André (dpa) - Noch einmal durften die deutschen Fußballer besondere Momente abseits des Fußballplatzes genießen - Joachim Löw aber fehlte an Bord. Für den Bundestrainer gibt es unter Brasiliens Sonne keine Ablenkung mehr.
Mit dem südafrikanischen Weltumsegler Mike Horn machte sich sein Team direkt vor dem WM-Basisquartier Campo Bahia auf einen kurzen Atlantik-Törn. Am Dienstagnachmittag war dann wieder harte Arbeit auf dem Platz angesagt. „Eine WM ist etwas ganz anderes als ein normales Länderspiel. Da steigt die Dramatik ins Unermessliche“, erklärte der Bundestrainer.
Obwohl das 100. WM-Spiel einer DFB-Auswahl gegen Portugal erst die Gruppenphase einleitet, betonte Löw schon jetzt in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa: „In jedem Turnierspiel weißt du als Trainer, dass in 90 oder 120 Minuten alles zu Ende sein kann.“ Ob Löw, wie vertraglich vereinbart, seinen Job bis 2016 fortsetzt, ist eines der Rätsel, das die WM lösen wird.
„Es wird uns gleich im ersten Spiel alles abverlangt. Wenn man dieses Spiel nicht gewinnen sollte, kann man schon sehr unter Druck geraten“, warnte Philipp Lahm vor dem schwierigen Start am Montag im heißen Salvador. Seine Position kennt der Kapitän nach mehreren Gesprächen mit Löw bereits: „Es ist aber nicht meine Verantwortung, das öffentlich zu machen.“ Alles deutet aufs Mittelfeld hin.
Konsequent zieht Löw im abgeschiedenen deutschen Stammquartier in Santo André seine Ideen und seine Linie durch. Dabei vermittelt der Bundestrainer weiter den Eindruck, dass er sein viertes Turnier auch als eine persönliche finale Chance begreift. Mit einem Schnitt von 2,20 Zählern in 105 Länderspielen ist Löw der punktbeste Bundestrainer vor den Europameistern Berti Vogts (2,18) und Jupp Derwall (2,15) sowie Helmut Schön (2,10), der als einziger sogar Welt- und Europameister wurde.
In die Ruhmeshalle kommen jedoch nur Champions. „Es gibt kein Patentrezept für einen Titelgewinn“, betonte der selbst ernannte Turnier-Coach. Alle Störungen der Konzentration möchte Löw im Vorbereitungsendspurt ausschließen. Die Frauen und Familien der Spieler dürfen frühestens nach dem ersten Spiel zu Besuch ins Campo Bahia kommen. Beim öffentlichen Training, das der Weltverband FIFA jedem der 32 WM-Teilnehmer einmal vorschreibt, mussten sich seine Spieler ein abschließendes Tänzchen mit einheimischen Indianern erst mit harter Arbeit verdienen.
Das Gerüst für die Startelf steht in Löws Überlegungen sechs Tage vor dem Showdown gegen Weltfußballer Cristiano Ronaldo. „Natürlich gibt es Planspiele, natürlich weiß ich in etwa, wer spielen wird“, sagte der 54-Jährige. Doch die letzten Trainingseindrücke seien noch besonders wichtig: „Die Frage ist: Welche Spieler machen bis zum Spiel gegen Portugal noch Fortschritte, technisch, taktisch, körperlich“, erklärte Löw. „Ich habe ein sehr gutes Gefühl, die Mannschaft hat wieder einen Schritt nach vorn gemacht“, sagte Lahm.
Löw hält die Spannung hoch, auch wenn er in den Übungseinheiten schon deutliche Signale gab. In einer Abwehrreihe mit vier gelernten Innenverteidigern dürfte Lahms Münchner Kollege Jérome Boateng wie schon bei der EM 2012 gegen Portugal die Aufgabe zufallen, als Rechtsverteidiger Ronaldo zu stoppen. In der Offensive tendiert Löw zum System ohne klassischen Mittelstürmer, also ohne Miroslav Klose in der Startelf. Im defensiven Mittelfeld dürfte Sami Khedira oder Bastian Schweinsteiger neben Lahm und Toni Kroos auflaufen.
Wer von beiden Leistungsträgern im Kampf um die Topform im Vorteil ist, wollte Löw nicht sagen. „Beide sind nicht am Maximum. Wir werden weiter intensiv mit ihnen arbeiten in den nächsten Tagen“, antwortete der Bundestrainer und ergänzte: „Gerade bei einem Spieler wie Sami Khedira, der eine längere Pause hinter sich hat, müssen wir sehen, wie das Turnier insgesamt verläuft, welche Belastungen er verträgt.“
Der Frage nach einer möglichen Reserverolle von Schweinsteiger wich Löw ganz aus und gab stattdessen das WM-Motto vor: „Alle Spieler können auch wichtig sein, wenn sie ins Spiel kommen, jedem Spieler kommt eine Hauptrolle zu.“ Dass Lahm als Mittelfeldspieler einem der prominenten Kollegen einen Platz wegnähme, wies der Kapitän zurück: „Das gibt es im Fußball nicht, dass jemand einem anderen Spieler den Platz wegnimmt.“ Der Trainer würde immer die Akteure aufstellen, „die er für geeignet hält und die am besten zusammenspielen“.
In Brasilien dürfe ohnehin niemand erwarten, „dass er immer über 90 Minuten spielen kann“, verdeutlichte Löw: „Wer das glaubt, macht einen Fehler. Bei diesen Bedingungen, diesen Temperaturen um 13.00 Uhr Ortszeit, wird es Wechsel geben müssen im Spiel.“
Wenn es richtig schief geht in Brasilien, „dann ist doch klar, dass sich die ganze Kritik auf den Trainer fokussiert“, bemerkte Löw. Schon Berti Vogts hatte gesagt, ein Bundestrainer komme „als Held oder Vaterlandsverräter“ von einem Turnier zurück. „Ich kann das alles realistisch einschätzen. Es ist aber kein Thema in meinen Gedanken“, erklärte Löw zu diesen Extremen. Zu jedem seiner 23 Spieler habe er Vertrauen: „Ich bin sicher, wir werden uns in einer guten Verfassung präsentieren.“