Vorwürfe bei Rückkehr von Italiens WM-Verlierern
Mailand (dpa) - Alleine und wortlos zog Mario Balotelli nach elf Stunden Flug in Mailand von dannen. Nach dem krachenden Scheitern in Brasilien sind Italiens tief gestürzte WM-Versager enttäuscht in die Heimat zurückgekehrt.
Dort erwartete die Nationalelf und allen voran den viel kritisierten Balotelli die radikale Aufarbeitung der WM-Pleite - die Rücktritte von Nationaltrainer Cesare Prandelli und Verbandspräsident Giancarlo Abete dürften nur der Anfang sein. Doch der schmerzhafte Prozess des Neubeginns hat für den viermaligen Weltmeister gerade erst begonnen.
„Baut Italien wieder auf. In Eile“, forderte die Zeitung „Tuttosport“. „Der eklatante Zusammenbruch bei der WM gebietet schnelle Entscheidungen.“ Schon am Montag soll sich der Verwaltungsrat des italienischen Fußball-Verbandes (FIGC) treffen und über die Nachfolge von Prandelli und Abete beraten. Als mögliche Kandidaten für den Posten des Nationaltrainers gelten Roberto Mancini, Massimiliano Allegri oder Luciano Spalletti.
Bei Nebel und Nieselregen setzte die Sondermaschine am Vormittag auf dem Mailänder Flughafen Malpensa auf - in der Luft hatte sich einer der wichtigsten Akteure des Teams offenbar seine Gedanken gemacht. Edel-Techniker Andrea Pirlo kündigte an, sich den Rücktritt aus der Nationalelf eventuell noch einmal zu überlegen. „Wenn der neue Trainer meint, dass ich helfen kann, komme ich gerne wieder“, erklärte der 35-Jährige laut italienischen Medien.
Eigentlich hatte sich der Routinier nach dem 0:1 gegen Uruguay schon von der Mannschaft verabschiedet. Verbands-Vizepräsident Demetrio Albertini hielt dann aber ein flammendes Plädoyer auf den Profi von Juventus Turin. „Für mich ist er einer der fünf besten Spieler in der Geschichte des italienischen Fußballs“, zitierte ihn die „Gazzetta dello Sport“. Der Ex-Profi unterstrich: „Ich bin überzeugt, dass die Nationalmannschaft mit Pirlo neu starten kann und muss.“
Wie das Gesicht des Nationalteams aussehen soll und was in Brasilien wirklich schief gelaufen ist, wird in Italien seit dem Schlusspfiff von Natal heftig diskutiert. „Prandelli hat bei der Nominierung Fehler gemacht, er hat zu viele Spieler mitgenommen, die keine Erfahrung haben. Das war eine sehr gewagte Entscheidung“, kritisierte etwa Italiens WM-Held von 1990, Salvatore „Totò“ Schillaci. „Wir haben uns blamiert“, räumte Torwart Gianluigi Buffon ein.
Im Mittelpunkt der Anfeindungen stand einmal mehr Balotelli. Nach seiner schwachen Leistung und der Auswechslung zur Pause gegen Uruguay wurde der 23-Jährige von den Medien und in den sozialen Netzwerken heftig angegriffen. „Balotelli ist ein absolut überschätzter Spieler“, meinte Ex-Nationalspieler Mauro Camoranesi, Weltmeister von 2006. „Es ärgert mich, einen Spieler zu sehen, der auf dem Platz nicht alles für die Nationalmannschaft geben will.“
Und auch innerhalb des Teams nimmt die Kritik am Angreifer zu, der Stürmer zieht sich zurück und wirkt zunehmend isoliert. „Chaos-WM für Balotelli“, urteilte der „Corriere dello Sport“. Inzwischen sickerten Details durch, was in der Halbzeitpause gegen Uruguay in der Kabine passiert war. Im Mittelpunkt: Balotelli. Trotz einer Standpauke von Coach Prandelli habe der exzentrische Stürmer nicht aufgehört zu murren und andere Spieler gegen sich aufzubringen. „Halt den Mund“, habe ihn der Trainer dann angefaucht - und in der Kabine gelassen.
Balotelli reagierte empfindlich. „Die Schuld lasse ich dieses Mal nicht auf mir abladen“, schrieb der Profi vom AC Mailand auf Twitter. „Sucht euch also eine andere Entschuldigung, weil Mario Balotelli ein reines Gewissen hat und bereit ist, mit erhobenem Kopf stärker als zuvor zurückzukehren“, erklärte er und teilte ordentlich aus: „Die Afrikaner würden nie einen ihrer „Brüder“ beschuldigen. In dieser Sache sind wir Neger, so wie ihr uns nennt, euch Lichtjahre voraus.“
Die Aussagen sorgten für reichlich Wirbel in Italien. „Unter Anklage. Balotelli rastet aus“, kommentierte „Tuttosport“. „Balotelli übertreibt. Ohne Beherrschung“, meinte der „Corriere dello Sport“. Doch es gab auch Unterstützung für den umstrittenen Skandalstürmer. „Es wird so dargestellt, als ob die Niederlage der Nationalmannschaft seine Schuld sei“, sagte Adriano Galliani, Vize-Präsident von Balotellis Club AC Mailand. „Sie hat aus anderen Gründen verloren, und er hat sicherlich nicht schlechter gespielt als die anderen.“