WM-Treibhaus im Amazonas: „Manaus ist schon drückend“
Manaus (dpa) - Von den WM-Sorgen der Engländer und Italiener vor dem ersten Saunagang in Manaus ist in der früheren Kautschukhochburg nichts zu spüren.
Am Hafen pflügen die in die Jahre gekommenen Dampfer mit den Touristen an Bord träge durch das Wasser, in der den Pariser Les Halles nachempfundenen Markthalle läuft der Handel mit den bunten Lebensmitteln und Souvenirs unbeirrt fort. Vor dem ersten Auftritt zwischen England und Italien (Sonntag/0.00 Uhr MESZ) in der Amazonas-Hauptstadt quält nicht nur diese beiden Fußballnationen die Ungewissheit, wie sich das schwül-heiße Klima auswirken wird.
„Manaus ist ein tolles Erlebnis, aber es ist sehr belastend, dort zu spielen“, hatte DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer unlängst erleichtert eingeräumt. „Die an der See gelegenen Orte sind noch etwas angenehmer, selbst wenn sich die reine Lufttemperatur nicht unterscheidet. Manaus ist schon drückend.“
Englands Nationaltrainer Roy Hodgson hatte es weniger höflich ausgedrückt. „Diesen Ort sollte man meiden“, meinte er mit Blick auf Hitze und Luftfeuchtigkeit, was in Manaus als Generalkritik an der Stadt mit ihren rund 1,9 Millionen Einwohnern aufgefasst wurde.
Mit der Wahl für die Tropenstadt hatte auch der Schweizer Coach Ottmar Hitzfeld seine Probleme. „Ich finde es fast unverantwortlich, dass man an einem solchen Ort mitten im Dschungel Fußball spielen muss“, hatte der frühere Bayern-Trainer im Vorfeld kritisiert. Mittlerweile herrscht auch bei den Eidgenossen eine entspanntere Haltung. „Ich bin positiv überrascht, wie gut sich das Team schon akklimatisiert hat“, sagte Sportwissenschaftler Markus Tschopp, der seit 2004 das Nationalteam begleitet. Die Schweizer müssen am 25. Juni in ihrem letzten Vorrundenspiel am Amazonas ran.
Manaus ist mit Sicherheit der exotischste WM-Spielort. Zu seiner Blütezeit leisteten sich die Kautschukbarone das 1896 eingeweihte Teatro Amazonas. Dem Wahnsinn dieser Idee widmete Regisseur Werner Herzog das filmische Meisterwerk „Fitzcarraldo“ mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Mehr als ein Jahrhundert danach wurde Manaus ein einem Strohkorb nachempfundenes, hunderte Millionen Euro teures Stadion eingepflanzt. Vier Menschen kamen bei dem Bau ums Leben.
Gerade mal vier Spiele werden hier ausgetragen, einen Proficlub gibt es weit und breit nicht. Angesichts überfüllter Gefängnisse und der fraglichen Weiterverwendung der Arena da Amazonia ging die Idee des Richters Sabino Marques daraufhin um die Welt. „Wir sollten das Stadion künftig als Zwischenlösung nutzen, um von hier aus Straftäter in Gefängnisse zu verteilen“, schlug er vor.
Auch in Manaus kollidieren Lebenswirklichkeit und kühne Projekte. Die Realität für die WM-Gäste ist jedenfalls Hitze. Auf den Straßen flanieren die Frauen gerne mit farbenfrohen Regenschirmen herum, um sich wenigstens gegen das Sonnenlicht zur Wehr zu setzen. Die Manaus-Debütanten England und Italien durchliefen ihre ganz eigenen Hitzeprüfungen. „Three Lions“-Coach Roy Hodgson ließ sein Team in drei Lagen Kleidung den Ernstfall simulieren, Cesare Prandelli schickte die Italiener in der Vorbereitung immer wieder in ein Holzhäuschen, um den Ernstfall nachempfinden zu können.
Ausgeglichener Flüssigkeitshaushalt, effektive Akklimatisierung - die Nationalmannschaften wissen in den Grundzügen, was für sie bei rund 32 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von bisweilen mehr als 80 Prozent zu tun ist. „Über Manaus, das Haushalten mit Energie und die Hitze wurde viel geredet“, räumte Hodgson ein. „Wir müssen jetzt einfach mal abwarten und sehen, was Manaus so bringt.“