Interview „Die echten Typen sterben aus“

Wuppertal. · Ex-Bundesligaprofi Alexander Voigt blickt heute als Trainer des Viertligisten Wuppertaler SV mit etwas Abstand auf die Profiszene.

Alexander Voigt (r.) im Zweikampf mit Antun Labak im Zweitligaspiel des FC Köln gegen Eintracht Trier vor 15 Jahren.

Foto: wz/Rolf Vennenbernd

Als Spieler hat Alexander Voigt vier Aufstiege in die erste Bundesliga erlebt, drei mit seinem Heimatverein 1. FC Köln, einen mit Borussia Mönchengladbach. Heute blickt der einstige Abwehrspieler als Trainer des Viertligisten Wuppertaler SV mit etwas Abstand auf die Profiszene.

Herr Voigt, Sie sind bis 2011 selbst mehr als ein Jahrzehnt lang Teil des großen Profizirkus gewesen. Wie beobachten sie dessen Entwicklung seit damals?

Alexander Voigt: Die Entwicklung, wenn man nur den Sport betrachtet, ist rasant. Wenn man sieht, was für athletische Fähigkeiten vorausgesetzt werden, um in der Bundesliga zu spielen, ist das ein großer Unterschied zu der Zeit, als ich noch gespielt habe. Klar hat man da auch auf Fitness gesetzt, aber was die Jungs heute imstande sind zu leisten, ist Wahnsinn. Mittlerweile ist es natürlich so, dass das Drumherum alles ein bisschen zu einer Show verkommen ist, was völlig normal ist. Man sieht die Entwicklung ist immer noch da, die Stadien sind (bis vor Corona) immer noch voll, es fallen immer mehr Merchandising-Produkte ein, ich bin gespannt, wann da mal die Grenze erreicht ist.

Trauern Sie da ein wenig, dass Sie nicht heute als Profi dabei ist?

Voigt: Schwer zu sagen. Die Jungs verdienen wesentlich mehr Geld heute, als wir das gemacht haben. Aber uns ging es auch nicht schlecht in der Zeit. Insofern gleicht sich das alles aus. Ich bin zufrieden, dass ich in der Zeit gespielt habe. Wir hatten eine richtig gute Mannschaft teilweise beim FC. Ich glaube nicht, dass es das heute noch so gibt. Wir hatten das Social-Media-Gebaren von heute noch nicht, das war auch gut so. Die Spieler haben ihr Image nur über Zeitungsartikel oder das Fernsehen aufgebaut. Es ist Wahnsinn, was da heute teilweise abläuft.

Die Vereine, mit denen sie in die erste Bundesliga aufgestiegen sind, Köln und Gladbach, spielen auch heute dort, aber die Entwicklung ist doch deutlich auseinander gegangen, woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Voigt: Ich glaube, dass in Gladbach der ausschlaggebende Punkt ist, dass Kontinuität herrscht. Max Eberl ist schon ewig in der Position, der Präsident ist schon ewig da, die Leute, die zuarbeiten sind schon ewig da. Da greift ein Rädchen ins andere. Und beim FC ist in der Vergangenheit so eine hohe Fluktuation gewesen, was das Personal angeht, dass da nicht ein Weg eingeschlagen werden konnte, den man gemeinsam gegangen ist, weil jeder immer wieder seine eigenen Ideen eingebracht hat. Und Gladbach hat es natürlich auch geschafft, mit ein paar Transfers, die richtig reingeknallt haben, sich international zu qualifizieren. Das macht finanziell so viel aus.

Sie sind Kölner, waren in Gladbach und Kerkrade, was auch nicht weit weg ist, wohnen weiter in Köln. Welche Rolle spielt Heimat für Sie?

Voigt: Heimat spielt eine große Rolle für mich, weil ich auch mein Umfeld in Köln habe. Das war aber nie der ausschlagegebende Punkt, nicht zu sagen, ich gehe jetzt mal weiter weg. Das hat sich immer so ergeben. Aber nach wie vor ist es so, die Kölner sind ja immer sehr sentimental, wenn es um Heimat geht, gerade auch wenn man die Karnevalslieder hört, die sich zu 99 Prozent um Köln und den Dom drehen. Das ist jetzt nicht so extrem bei mir, aber ich bin froh, wenn ich in der Nähe bin.

Wie weit denken Sie, ist es für Spieler auch wichtig, für längere Zeit in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben. Viele wechseln ja schon sehr früh für Wahnsinnsablösesummen?

Voigt: Es gibt solche und solche Spieler. Ich glaube, dass es Spieler gibt, denen es gut tut, wenn sie mal aus dem Nest rauskommen, die einfach mal woanders hinkommen und sich so ein bisschen abnabeln müssen von zu Hause. Es gibt aber auch Spieler, die ihre Leistung nur abrufen können, wenn sie zu Hause sind und ihre gewohnte Umgebung haben. Ich will jetzt nicht sagen, dass Lukas Podolski, wenn er weggegangen ist, schlecht gespielt hat, aber seine besten Leistungen hat er immer in Köln gebracht. Das ist ein gutes Beispiel, wenn man mal ins oberer Regal greift.

Sie haben selbst die Trainerkarriere eingeschlagen, hatten als Spieler mit Ewald Lienen, Marcel Koller, Jos Luhukay oder Huub Stevens große Trainer. Von wem haben Sie am meisten mitgenommen?

Voigt: Als Spieler achtest Du da nicht so drauf, trotzdem bleiben viele Sachen in Erinnerung und du versuchst, wenn es Situationen in der Saison gibt, in denen es nicht so optimal läuft, in der Kiste zu kramen, welcher Trainer hat wie reagiert.

Haben Sie Beispiele dafür?

Voigt: Es gibt verschiedene Ansatzweisen. Ewald Lienen hat es viel übers Reden gemacht: Vier-Augen-Gespräche, Mannschaftsbesprechungen, viel auf die menschliche Schiene. Das war zu der Zeit, als wir ihn als Trainer hatten, genau richtig. Huub Stevens hat auch gesprochen, aber das war dann eine Ansprache, wo du wußtest, bis hierhin und nicht weiter. Aber damit hat er die Mannschaft auch gepackt und im Griff gehabt. Friedhelm Funkel war ein sehr entspannter Trainer, auch sehr menschlich, konnte richtig reinfühlen in die Spieler. Da kann man sich etwas rauspicken und mit den eigenen Vorstellungen mischen.

Unter Stevens soll es mal eine Strafe gegeben haben, wenn jemand im Training den Ball mit der Hand angefasst hat, egal, wo er gelandet ist. Wäre das auch etwas für Sie beim Wuppertaler SV?

Voigt: Dann wären wir wenig mit Training beschäftigt, sondern viel mehr mit Strafen (lacht). Für Huub Stevens war das eine Sache, Gemeinschaft zu stärken, vor allem in der Vorbereitung. Zu sagen, wir sind eine Fußballmannschaft, da hat der Ball in der Hand nichts zu suchen. Er hat es dann auch provozierend herausgefordert, die Bälle immer zugeschmissen auf Brusthöhe und wir mussten dann ein klitzekleines Kraftprogramm machen, wenn es nicht funktioniert hat. Das war fürs Teambuilding gedacht.

Welche Gegenspieler haben sie in Ihrer Karriere am meisten geärgert?

Voigt: Da gab es einige, Es gab aber auch einige, mit denen ich überhaupt nicht klarkam. Zum Beispiel Wesley Sneijder als wir gegen Ajax gespielt haben, einfach, weil er nicht meine Körpergröße hatte und unglaublich schnell und wendig war. Da habe ich Lehrgeld bezahlt. Oder Thomas Häßler in seiner Zeit in Karlsruhe. Das waren Spieler, die einen tiefen Schwerpunkt hatten und unangenehm zu spielen waren.

Wer waren Ihre besten Mitspieler?

Voigt: Schwer zu sagen, man will ja auch niemanden angreifen. Aber klar, Lukas Podolski mit 18, 19 Jahren – das war schon eine Wucht. Und Oli Neuville, Marko Marin — das waren alles Spieler, die hatten Extraklasse. Dazu kamen viele, viele gute Spieler. Das würde aber den Rahmen sprengen.

Marko Marin soll Ihnen in seinem ersten Spiel als 18-Jähriger die Ansage gemacht haben, Du hältst mir jetzt den Rücken frei. Was würden Sie sagen, wenn Ihre 18-Jährigen beim WSV eine solche Ansage machten?

Voigt: Die Jungs sind nicht so frech, wie ein Marko Marin mit 18 war. Ich glaube, das würde die Truppe auch untereinander regeln. Der Marko Marin hat eben mit 18 schon geplappert, wie ein Großer, aber er hat auch gute Leistung gebracht. Insofern habe ich ihm das damals auch nicht übel genommen, ihm aber direkt gesagt, so wird das nicht laufen.

Fehlen heute solche Typen im Fußball?

Voigt: Ja, ganz klar. Schauen Sie sich die Interviews nach den Spielen an, das ist alles sehr stromlinienförmig, sehr vorgefertigt. Außer vielleicht bei einem Thomas Müller. Die Typen stellen sich alle gleich dar bei Instagram und Konsorten. Echte Typen sterben leider aus.

Was trauen Sie den Bayern in der Champions League noch zu?

Voigt: Ich glaube, dass man mit den Bayern rechnen muss. Gerade in der Konstellation, dass es nur ein Spiel gibt in den Runden. Da sind sie schwer zu schlagen. Ich traue ihnen das Finale zu, das wird eine enge Kiste, aber ich traue ihnen den großen Wurf zu.