Zeitenwende beim DFB-Team - Löw schafft WM-Perspektiven
Nürnberg (dpa) - Nach dem locker erfüllten WM-Auftrag gegen Kasachstan hatten es die Nationalspieler aus Dortmund und München eilig.
In schwarzen Kleinbussen brausten sie nach dem 4:1 (3:0) in Nürnberg noch in der Nacht in die Heimatorte - und das mit den besten Wünschen von Joachim Löw. Der Bundestrainer konnte es schließlich schon während des Länderspiels „nachvollziehen“, dass seine Belegschaft nach 45 berauschenden Minuten, die inklusive der drei Tore ein Abbild des weltweit bewunderten spanischen Tiki-Taka-Fußballs waren, in den Sparmodus umgeschaltet hatte.
„Die Spieler gehen jetzt wieder in ihre Vereine zur Bundesliga. Und nächste Woche ist Champions League mit wichtigen Spielen für Dortmund und Bayern“, erklärte der Bundestrainer nachsichtig. Allein die Häme eines Teils des fränkischen Publikums für den patzenden Torhüter Manuel Neuer erzürnte Löw. Ansonsten konnte der 53-Jährige zufrieden Bilanz ziehen: „Wir haben unsere Pflicht erfüllt.“
Das WM-Ticket liegt für den souveränen Tabellenführer der Gruppe C im Herbst zum Abholen bereit. „Wir sind absolut im Soll“, resümierte Philipp Lahm nach dem zweiten Sieg gegen Sparringspartner Kasachstan innerhalb von vier Tagen. Löw kann seine Brasilien-Planung forcieren: „Es sieht im Moment ganz gut aus, aber letztendlich wird die Gruppe im Herbst entschieden, wenn wir die direkten Duelle haben in Schweden und vor allem vorher gegen Österreich und Irland.“
Kasachstan, Österreich, Irland sind nicht die Gradmesser - mehr zur WM-Titelreife seines Talentschuppens tragen die anstehenden großen Spiele in der Champions League bei. Gleich zehn Akteure aus der Startelf von Dienstag - vier Bayern, vier Dortmunder und die Real-Stars Özil und Khedira - sind noch dabei. Und Löw ist „überzeugt“ davon, dass Dortmund gegen Malaga und der FC Bayern gegen Juventus Turin den Sprung ins Halbfinale schaffen werden.
Das Kasachstan-Spiel demonstrierte an Hand der BVB-Akteure, wie wertvoll die Königsklasse auch für das Nationalteam sein kann. Sie beschleunigt den internationalen Reifeprozess junger Spieler. Es war ein Dortmunder Abend in Franken, bei dem alle vier Tore von Marco Reus (23./90. Minute), Mario Götze (27.) und Ilkay Gündogan (32.) auf das Konto der schwarz-gelben Fraktion gingen. „Das ist mir auf dem Feld gar nicht aufgefallen, weil wir das gleiche Trikot tragen“, bemerkte Lahm zur außergewöhnlichen Situation, dass ausnahmsweise nicht der Münchner, sondern der Dortmunder Block den Takt im DFB-Team diktierte und die großen Akzente setzte.
Reus, Götze, Schmelzer und der immer mehr in den Fokus rückende Ilkay Gündogan, die noch bei der EM 2012 Azubis auf der Bank waren, entwickeln sich zu prägenden Figuren. Löw schwärmte besonders von Gündogan, der den gesperrten Leitwolf Bastian Schweinsteiger im Mittelfeld prächtig ersetzte und sogar sein erstes Länderspieltor erzielte. „Er macht das Spiel schnell, er ist präsent, er hat ein Tor erzielt, er war ständig im Spiel drin. Er ist unentbehrlich geworden für unseren Kader“, lobte Löw den 22 Jahre jungen Dortmunder.
Mit Bayern + Dortmund + Real Madrid hat Löw eine Zeitenwende geschafft. Der Blick geht nicht mehr zurück auf die vergebenen Chancen 2012, sondern wieder hoffnungsvoll nach vorne Richtung Brasilien 2014. So gehört das spanische System ohne Stürmer nun fix zu Löws WM-Baukasten. 18 der 22 Tore in der WM-Qualifikation gehen auf das Konto der Mittelfeldspieler, angeführt von Özil und Reus (je 5). Löw berauschte sich am Kombinationswirbel der ersten Hälfte: „Da haben wir schnell gespielt, waren viel in Bewegung, haben sehr gute Kombinationen auf engstem Raum gehabt und drei Tore erzielt.“
Abstellen muss die Mannschaft den Schlendrian, der sich nicht nur in beiden Spielen gegen Kasachstan, sondern auch schon bei der EM gegen harmlose Griechen (4:2) oder beim unglaublichen 4:4 gegen Schweden eingestellt hatte. „Es war eine kollektive Nachlässigkeit, die gegen Gegner, der das noch kräftiger bestraft, nicht stattfinden darf“, erklärte Gündogan selbstkritisch.
Beim 60. Sieg im 80. WM-Qualifikationsspiel löste Neuer am Vorabend seines 27. Geburtstags mit seinem Torgeschenk an den Fürther Heinrich Schmidtgal (47.) den Bruch im Spiel aus. „Wenn man die zweite Halbzeit so beginnt, ist es auch für die Mannschaft schwer, positiv weiterzuspielen“, meinte der Torwart reumütig.
Löw nahm seine Nummer 1 jedoch in Schutz und tadelte dafür jene Zuschauer, die Neuer fortan bei jedem Ballkontakt auspfiffen und „mit Ironie und Häme begleitet“ hätten. „Das finde ich nicht fair“, schimpfte der Bundestrainer. Neuer selbst hielt sich mit Fan-Schelte zurück: „Ich habe es mitbekommen, aber was soll ich dazu sagen? Ich will ja nichts gegen die Fans sagen“, erklärte er vielsagend.