EM-Halbfinale: Der neue Weg des deutschen Handballs
Hamburg (dpa) - Die Freude der deutschen Handball-Verantwortlichen über den Einzug der Nationalmannschaft ins EM-Halbfinale soll von Dauer sein. „Jetzt kommt nur noch Kür“, sagte Frank Bohmann, Geschäftsführer des Liga-Verbandes Handball-Bundesliga (HBL).
HBL-Präsident Uwe Schwenker stimmte in den Jubel ein: „Ein Riesenkompliment an Trainerteam und Mannschaft. Da entwickelt sich was.“ Positive Auswirkungen auf die Bundesliga und damit den Spitzen-Handball in Deutschland werden erwartet. Mit Einschränkungen. „Wenn wir unseren Job gut machen, wird es vorangehen. Ansonsten nicht. Denn so schön Erfolge bei großen Turnieren sind, sie allein reichen nicht aus“, meinte Bohmann. Quintessenz: Ein eventueller Run von Kindern und Jugendlichen auf Handball-Vereine stärkt nicht automatisch die Nationalmannschaft.
Der HBL-Geschäftsführer nennt Zahlen: „In Spanien gibt es 30 000 Handballer. Spanien ist zweimaliger Weltmeister, mehrfacher Medaillengewinner bei Olympia, WM und EM. Polen hat 20 000 Handballer und ein Top-Team. Wir haben knapp 800 000 Handballer.“ Ginge man allein von der Breite aus, müssten die Deutschen rund 26 Mal besser als die Spanier sein.
Bohmann und Schwenker bezeichnen als Wichtigstes die Struktur. Seit 2007 werden die Leistungszentren bei den Bundesligisten aufgebaut und vervollkommnet. „Wir müssen der Bundesliga ein Kompliment machen, was da in den vergangenen Jahren passiert ist. Das Jugendkonzept wirkt sich aus. Es ist zwar noch fragil, bringt aber eine Vielzahl an Talenten hervor“, erklärte Schwenker.
16 Leistungszentren gibt es derzeit. „Das Konzept zieht, aber wir müssen es weiterentwickeln“, sagte Bohmann. Bis auf Carsten Lichtlein und Steffen Weinhold sind alle EM-Spieler Kinder der Leistungszentren. Selbst der insolvente HSV Hamburg hat eine Top-Kaderschmiede. Die U23 ist auf dem Sprung in die 3. Liga, die A-Jugend gehört zur Spitze.
Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit sei auf diesem Weg viel erreicht worden. „Für den Top-Handball brauchen wir nicht größere Breite, sondern die Spitzenförderung. In den vergangenen drei Jahren sind wir sehr viel stärker in die Individualisierung gegangen und betreuen die Spitzenspieler intensiver. Das zahlt sich aus.“
Deutlich wurde die Entwicklung bei der EM. Leistungsträger wie Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki, Paul Drux und Patrick Wiencek waren kurz vor der EM, Steffen Weinhold und Christian Dissinger währenddessen ausgefallen. Junge Spieler sprangen in die Bresche und schulterten die Aufgabe. „Diese verschworene Truppe ist überaus homogen. Wer neu hinzukam, hat sofort Verantwortung übernommen“, sagte Schwenker.
Der stellvertretende DHB-Präsident Bob Hanning sieht „eine Riesenchance auf Nachhaltigkeit“. Für die Bundesliga sei die Entwicklung eine klare Aufwertung. Durch den starken EM-Auftritt bestehe die Chance, mehr Zuschauer in die Hallen zu bringen.
Neu im deutschen Handball ist auch ein Miteinander von Vereinen und Nationalmannschaft. „Vater des Erfolges ist natürlich der Trainer. Aber auch der DHB und die HBL haben Anteil“, versicherte Bohmann und ergänzte: „Wir ziehen seit zwei, drei Jahren an einem Strang.“ Früher war das nicht so. Da verstanden sich beide Verbände eher als Konkurrenten. „Da zeigte der eine schon mal mit dem Finger auf den anderen“, berichtete Schwenker. „Jetzt hat man Verständnis für unterschiedliche Interessen des jeweils anderen.“ Was fehlt? Bohmann: „Medial möchten wir einen Schritt machen, und zwar raus aus dem Schatten des Fußballs.“