Handball-Helden zwischen Glückshormonen und Horrorfilmen
Breslau (dpa) - Spät ins Bett, wenig Schlaf und Ablenkung bei Gesprächen und Horrorfilmen: Nach einer Überdosis Adrenalin und Glückshormonen waren die beiden deutschen Handball-Helden Andreas Wolff und Tobias Reichmann am Tag nach ihren Glanztaten noch ganz schön müde.
„Ich habe nicht so gut geschlafen. Das war wahrscheinlich zu viel Adrenalin im Spiel“, berichtete Torhüter Wolff im Teamhotel in Breslau.
Erst nach langen Gesprächen mit seinem Zimmerkollegen Jannick Kohlbacher fand er die ersehnte Ruhe. Es ging natürlich um 27:26 gegen Schweden und um das bevorstehende EM-Spiel an diesem Mittwoch (17.15 Uhr/ZDF) gegen Slowenien. Wolff weiß, dass es ein Hop-oder-Top-Spiel ist. „Die Nervosität ist immer noch da, weil es immer noch sein kann, dass wir nach der Vorrunde nach Hausen fahren müssen. Das gilt es um jeden Preis zu vermeiden“, forderte er von sich und seinen Kollegen.
Nicht anders als dem Wetzlarer, der nach 42 Prozent gehaltener Bälle als bester Spieler ausgezeichnet wurde, erging es dem neunfachen Torschützen Reichmann. „Ich habe erst 3.30 Uhr oder 4.00 Uhr die Augen zu gemacht“, erzählte der Rechtsaußen. Das Handy gab keine Ruhe, das Spiel lief noch im Kopf ab - da half nur schwere Kost als Ablenkung. „Ich habe mir ein paar Horrorfilme angesehen“, sagte Reichmann im Anschluss an sein bestes Spiel im Nationaltrikot.
Dass das deutsche Spiel rund zwölf Stunden zuvor nicht Horror, sondern ein Krimi war, lag zu einem große Teil an Wolff. Der 1,98-Meter-Riese stellte sein Tor zu und brachte die Schweden zur Verzweiflung. Lohn sind neben der Ehrung als bester Spieler der Blick auf die Torhüter-Statistik der EM: Nach zwei Spielen steht der Wetzlarer mit 40 Prozent gehaltener Bälle an der Spitze.
Dass sich der 24-Jährige dort einmal wiederfinden würde, war am Anfang der Karriere nicht abzusehen. Dabei bietet er zwei Versionen an, wie alles begann. Nummer 1: „Als ich jung war, war ich im ersten Training ein bisschen schüchtern und wollte nicht so viel zu tun haben mit den anderen und habe mich deswegen hinten reingestellt.“ Und Nummer 2: „Als Kind war ich auch ein bisschen dicklich. Vielleicht hat man auch gesagt, den Dicken stellen wir ins Tor.“
Unzweifelhaft dagegen ist, wodurch sein sportlicher Aufschwung richtig in Fahrt kam. Zum einen bekam er bei der HSG Wetzlar das Vertrauen, spielen zu dürfen. Zum anderen hatte Wolff mit dem ehemaligen spanischen Weltmeister Jose Hombrados einen großartigen Lehrmeister. „Das größte Geschenk, das Wetzlar mir gemacht hat, war die Verpflichtung von Jose Hombrados, der mir unglaublich viel beigebracht hat, vor allem mental. Er ist ein unglaublich kluger Torhüter und ein unglaublich kluger Mensch“, urteilte er.
Von Hombrados hat Wolff akribische Spiel- und Spieleranalyse gelernt. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Torhütern verzichtet der Handball-Profi ganz darauf, sich alles peinlich genau zu notieren. „Ich schreibe mir das gar nicht auf vor dem Spiel, denn im Spiel kann ich auch nicht auf den Zettel gucken. Ich versuche das alles mit visuellen Eindrücken zu verarbeiten“, verriet er.
Bei der EM scheint er am Nummer-1-Status von Carsten Lichtlein im deutschen Tor nun zu rütteln. „Es kann gut sein, dass er gegen Slowenien anfängt“, sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Ein Punkt reicht für das Erreichen der Hauptrunde. Ich will nach meinem ersten Turnier nicht sagen, dass ich nur drei Spiele gemacht habe“, nannte er sein vordringlichstes Ziel.
Auch Reichmann ist heiß auf weitere EM-Spiele in Polen, wo er beim Meister und Tabellenführer KS Vive Kielce unter Vertrag steht. Vor allem seine Nervenstärke am Siebenmeterpunkt wird auch künftig gefragt sein. Gegen Schweden verwandelte der 27-Jährige fünf von sechs. „Er hat das überragend gemacht“, lobte ihn der Bundestrainer. Und damit er auch gegen die Slowenen wieder hellwach ist, verabschiedete sich Reichmann ins Bett: „Ich werde noch ein Mittagsschläfchen machen und den Schlaf nachholen.“