Michael Kraus: Das ewige Talent zieht zurück in die Provinz
Es mehren sich die Anzeichen, dass Michael Kraus Hamburg verlässt. Das Ziel wird sein Ex-Club Frisch Auf Göppingen sein.
Hamburg. Unruhig war es zuletzt auf der Alb, sagt Velimir Petkovic. „Es haben sehr viele Leute hier angerufen.“ Das wundert den Trainer des Handball-Bundesligisten Frisch Auf Göppingen kaum. Denn es steht die Rückkehr des verlorenen Sohnes bevor: Es scheint nur noch um ein paar Formalitäten zu gehen beim Transfer von Michael Kraus vom HSV Handball nach Göppingen. Petkovic ist deshalb vorsichtig. „Aber“, sagt der 56 Jahre alte Coach, „ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er nächste Saison wieder hier in Göppingen spielt.“
Die Reise des Michael Kraus scheint dort zu enden, wo sie begann. Der 29-Jährige wuchs in Göppingen auf, sammelte seit 2002 bei Frisch Auf erste Meriten und feierte ab 2004 mit Trainer Petkovic seinen Durchbruch. Er sei sein Freund, hatte Kraus damals geschwärmt. „Ich bin sein Freund, ich will ihm helfen“, sagt heute Petkovic. „Alle haben ja gesehen, wie es gelaufen ist.“
Gelaufen ist es bescheiden — angesichts des großen Versprechens, das Kraus einst darstellte. Eine Jury hatte ihn 2007, als Deutschland in Köln Weltmeister wurde, zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt. Das war einerseits nicht angemessen und andererseits kompliziert für Kraus. Denn nun wollten alle den neuen Superstar Kraus haben. „Er hatte damals die falschen Berater“, sagt Petkovic. „Es war noch nicht die Zeit für ihn, wegzugehen.“ Aber Kraus ging. Ins ostwestfälische Lemgo. Dort träumten einige, allen voran der damalige Sponsor Heristo, vom Gewinn der Champions League.
Es wurde ein Desaster. In Lemgo verzweifelten sie an Kraus, an seiner Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit. Kraus verzweifelte an der spröden Art der Ostwestfalen. Auch die Idee Heiner Brands, Kraus vor der EM 2010 zum Kapitän der Nationalmannschaft zu ernennen, um ihn zur Verantwortung zu erziehen, scheiterte. Aber Andreas Rudolph, der damalige Präsident des HSV Handball, hatte einen Narren an Kraus gefunden, an dem fröhlichen Naturell des Handballprofis. 2010 wechselt Kraus nach Hamburg.
Hier zählte Kraus zur Meistermannschaft 2011. Doch nach knapp zwei Jahren haben sich Kraus und HSV-Trainer Martin Schwalb offenbar überworfen. Es sollen die Fetzen fliegen im Training. Zu viel ist passiert, etwa der kuriose Verkehrsunfall, der Kraus außer Gefecht setzte oder der verpasste Flug zum Auswärtsspiel in Göppingen. Zuletzt litt Kraus an einem Hexenschuss. Der Vorwurf, der stets mitschwingt: Kraus lebe nicht wie ein Profi, sei zu viel in Kneipen unterwegs.
Kraus habe sein „Talent verschludert“, zeterte Heiner Brand kürzlich. „Dass er so häufig verletzt ist, spricht auch dafür, dass er nicht austrainiert ist, nicht dementsprechend lebt. Wenn er noch mal richtig angreifen will, muss er alles dafür tun und wissen, dass er Profi ist.“
Kraus selbst reagiert trotzig auf die Kritik. Als ihn Bundestrainer Martin Heuberger nicht für die WM in Spanien nominierte, fühlte er sich verschaukelt. „Das war, wie es gelaufen ist, nicht in Ordnung“, sagt er. Ziehvater Petkovic sieht in ihm immer noch den Rückraumspieler mit den größten Fähigkeiten in Deutschland. Ganz sicher aber sei Kraus ein „guter Mensch“, sagt Petkovic. „Und jeder verdient eine zweite Chance.“