Vertagte Handball-Revolution: Blaue Karte & Co. erst 2017
Leipzig (dpa) - Die Revolution ist vertagt. Statt bereits zur am Samstag startenden Frauen-WM werden die fünf neuen und teils einschneidenden Regeln im Handball erst wie einst geplant zum 1. Juli 2017 eingeführt.
„Das wären doch nur Erprobungen gewesen. Für eine WM, wo es auch noch um Olympia geht, wäre das vermessen gewesen. Da wäre zu viel dem Zufall überlassen gewesen“, sagte Peter Rauchfuß, Schiedsrichterchef im Deutschen Handballbund (DHB), der Deutschen Presse-Agentur.
Einen ganzen Katalog von Neuerungen wollte der Weltverband IHF bei der WM in Dänemark einführen: Blaue Karte, Zwangspause für Verletzte, passives Spiel, Fouls kurz vor Spielende und kein Leibchen-Zwang für siebten Feldspieler. Auf Intervention von mindestens zwei skandinavischen Nationen wurde das Vorhaben aber heimlich, still und leise wieder zurückgenommen. „Für mich war das überraschend, dass sie das so durchziehen wollten. Dass es jetzt zurückgenommen wurde, ist richtig und gut“, urteilte Rauchfuß.
Chronologisch sah das wie folgt aus: Am 30. Oktober gab der DHB bekannt, dass nach Information durch die IHF die Regeln in Dänemark angewendet werden. Auf dem IHF-Kongress vom 6. bis 9. November in Sotschi wurde das Thema noch einmal behandelt, stand aber dort schon unter Vorbehalt. Wenige Tage später wurden die deutschen WM-Schiedsrichter Robert Schulze und Tobias Tönnies aus Magdeburg davon unterrichtet, dass regeltechnisch alles bleibt wie bisher. Und seit dem 25. November ist auch der Eintrag auf der Internetseite des DHB verschwunden. Wie bei der Männer-WM zu Jahresbeginn in Katar kommt nun nur der Videobeweis zum Einsatz.
Dem Regel-Hickhack wollte Frauen-Bundestrainer Jakob Vestergaard keine Bedeutung zumessen. „Wir haben darüber gesprochen. Aber wir spielen wie immer und denken nicht mehr daran“, sagte der Däne. Er hat ohnehin andere Sorgen, denn nach drei Testspielen ohne Sieg sucht sein Team noch die WM-Form. Über die Vorrundenspiele gegen Frankreich, Argentinien, Brasilien, Südkorea und Kongo sowie ein Achtelfinale muss er seine Mannschaft ins Viertelfinale führen, um einen Platz im Olympia-Qualifikationsturnier zu ergattern.
Regelkenner Rauchfuß ist froh, dass die Neuerungen vorerst nur in der Erprobungsphase sind und erst turnusgemäß im nacholympischen Jahr eingeführt werden. „Wir dürfen uns nicht zum Spaßball entwickeln“, forderte der frühere Spitzenreferee. Er ist gegen jede Art von Aktionismus und hält manches schlichtweg in der Praxis nicht für umsetzbar. Wenn wie vorgesehen ein vorübergehend verletzter Spieler drei Angriffe seiner Mannschaft auf der Bank zubringen muss, „sind wir schon im Bereich der Strafe für den Spieler“, befand Rauchfuß. „Für mich sind das Schreibtischauslegungen.“
Erprobt wurden die neuen Regeln bei der Junioren-WM im Sommer in Brasilien. Bundestrainer Markus Baur war vor allem von der Novelle des Zeitspiels angetan. „Alle Mannschaften hatten sich darauf eingestellt und entsprechende Lösungen und Abläufe einstudiert“, erklärte er im „Mannheimer Morgen“. In der Jugend-Bundesliga findet die Regel Anwendung, dass ein verletzter Akteur einen Angriff statt geplanter drei Angriffe aussetzen muss. „Das läuft reibungslos“, berichtete Rauchfuß.
Die Blaue Karte hält er für überflüssig. Sie soll gezeigt werden, wenn nach einer Roten Karte der Fall eines Spieler vor die Disziplinarkommission kommt. „Wir beschäftigen uns nicht mit der Blauen Karte“, sagte der DHB-Schiedsrichterchef und scherzte angesichts der Farbenspiele mit Gelber, Roter und Blauer Karte: „Ich suche noch einen Hersteller von Hosenträgern, damit die Hosen nicht rutschen, bei dem, was die Schiedsrichter alles in den Taschen haben müssen.“