Herr Beierlorzer, nach dem beschaulichen Regensburg sind Sie nun in der Millionenstadt Köln in der Bundesliga gelandet. Wie groß war die Umstellung?
Interview Kölns Trainer Beierlorzer: „Veh hat mich als Spieler aussortiert“
Köln · Der neue Trainer des FC Köln spricht vor dem Ligastart über seine Art des Fußballs, Lehren aus der RB-Schule in Leipzig und sein Verhältnis zu Armin Veh.
Achim Beierlorzer: Natürlich ist das ein großer Unterschied. Der Wechsel von der zweiten Liga in die Bundesliga ist ein Riesenschritt – gerade was die mediale Aufmerksamkeit angeht, und ganz speziell in Köln.
Das trifft das Motto des Vereins. Was macht denn den Verein für Sie „spürbar anders“?
Beierlorzer: Vor allem die Art, wie mit den Fans umgegangen wird. Hier auf dem Gelände ist ja alles frei zugänglich. Zum Trainingsplatz können die Menschen hin spazieren.
Das war auf Ihrer früheren Station bei RB Leipzig anders?
Beierlorzer: Natürlich. Dort war alles komplett abgeriegelt. Die Fans wurden in einen gewissen Bereich geleitet. Da stand eine kleine Tribüne, auf die sie sich setzen konnten.
Würden Sie sich das auch in Köln wünschen?
Beierlorzer: Nein. In Regensburg hatten wir zum Beispiel gar keine Chance, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu trainieren. Dinge, die sind, wie sie sind, sollte man auf keinen Fall komplett ändern. Diese Nähe zu den Fans passt zu Köln. Wie diese totale Hingabe zum Verein. Wenn man sich überlegt, wie viele Fans zuletzt mit in die Trainingslager gereist sind, dann ist das was ganz Besonderes.
Trotzdem sind Sie ein Trainer, der ein System mit Aufwand einstudiert. Bräuchten Sie nicht eigentlich mehr Ruhe, damit nicht jeder alles mitbekommt?
Beierlorzer: Wir studieren Prinzipien ein. Und diese Prinzipien gelten für jede Grundordnung. Ob es jetzt das 4-4-2 oder irgendein anderes System ist. Die Prinzipien sollten immer dieselben bleiben. Das wollen wir immer mehr in die Mannschaft implantieren. Wir haben da schon viel erreicht, und insofern ist es natürlich nicht optimal, wenn das jeder beobachten kann. Auf der anderen Seite fokussieren wir uns auf unsere Aufgabe. Die Zuschauer sind also kein Störfaktor.
Ihr Geschäftsführer Sport Armin Veh sagte kürzlich, der Trainer habe den härtesten Job. Am Ende der Saison, wenn er in den Spiegel schaut, sieht er anders aus, als am Anfang der Spielzeit.
Beierlorzer: Dass dieser Job etwas mit einem macht, weil er so emotional ist und vom Gewinnen und Verlieren abhängig ist, das ist so. In schwierigen Phasen achte ich deshalb extrem auf mich – schaue, dass ich pünktlich ins Bett gehe und mich gut ernähre. Aber in erster Linie freue ich mich, diesen Job zu machen. Ich glaube, die Sichtweise ist sehr wichtig. In dem Wissen, dass man seinen Job macht und alles rein schmeißt – und trotzdem nicht alles beeinflussen kann.
Vor ihrer Profi-Trainerlaufbahn waren Sie mit mit Leidenschaft Lehrer. Fiel Ihnen dieser Wechsel leicht, zumal Sie gerade erst Ihren Beamtenstatus verloren haben?
Beierlorzer: Man muss ja ganz klar sagen: Ich kann jederzeit wieder Lehrer werden. Ich bin zwar jetzt kein Oberstudienrat mehr, aber es ist ja nur der Beamtenstatus, der wegfällt. Die Entscheidung ist mir super leichtgefallen, weil ich im Hier und Jetzt lebe. Es ist nicht entscheidend, ob ich 2033 eine gute Pension kriege. Die Geschichte mit dem Beamtenstatus hatte sich für mich gefühlt eigentlich schon erledigt, als ich in Regensburg meinen Vertrag bis 2022 verlängert habe.
Aber Sie können sich trotzdem vorstellen, irgendwann mal wieder als Lehrer zu arbeiten?
Beierlorzer: Klar.
Ist aber nicht Teil Ihrer Lebensplanung.
Beierlorzer: Mit dem Thema Lebensplanung bin ich immer ganz vorsichtig. Aktuell genießen wir alle die jetzige Situation, und damit meine ich meine ganze Familie. Wir freuen uns, dass wir jetzt in Köln sind. Ich weiß, dass ich einen Zweijahresvertrag habe. Das heißt für mich: In diesem Zeitrahmen werde ich wahrscheinlich Arbeit haben.
Und wie bewerten Sie den Ist-Zustand?
Beierlorzer: Ich gehe jeden Tag richtig gern zur Arbeit, habe ein tolles Trainerteam und ein Team ums Team. Die Arbeit mit der Mannschaft macht riesig Spaß. Als meine Frau, die auch Lehrerin ist, in den Ferien zu Besuch war, sind wir mit den Fahrrädern in die Stadt gefahren, waren am Aachener Weiher, haben uns dort auf die Wiese gesetzt und mal das Treiben miterlebt. Wir waren auch schon mal im Belgischen Viertel und haben da ein Glas Rotwein getrunken. Das hat richtig was.
Sie haben oft gesagt, dass Sie bei RB Leipzig große Schritte in ihrer Karriere getan haben. Was haben Sie dort gelernt?
Beierlorzer: Als ich die U17 der SpVgg Greuther Fürth vier Jahre lang trainiert habe, habe ich in meinem zweiten Jahr die Spielphilosophie verändert. Mir gefiel das Mittelfeldpressing nicht mehr, das Warten auf den Ball oder den Fehler des Gegners. Ich hatte das Gefühl, die Jungs wollen einfach losgelassen werden. Ich habe dann dieses Freundschaftsspiel zwischen RB Salzburg und Bayern München gesehen, das Salzburg seinerzeit gewann. Und ab diesem Zeitpunkt habe ich meine Mannschaft genau so spielen lassen: Nach vorne attackieren und gleichzeitig gut die Defensive absichern mit schnellen Innenverteidigern. Genauso bin ich dann auch nach Leipzig gekommen. Nicht, weil ich den Fußballlehrer-Lehrgang gut beendet habe – das war sicher auch ein Argument –, sondern weil wir mit Fürth immer gegen Leipzig gewonnen haben und dabei genauso gespielt haben wie sie. In Leipzig kam dann dazu, dass man diese Art des Spiels auch wissenschaftlich untersucht hat. Das haben wir gemeinsam mit einer Universität gemacht. Als ich Co-Trainer bei Ralf Rangnick war, haben wir sogar die Trainingssteuerung empirisch untersucht. Diese Zeit hat mich unheimlich weitergebracht, weil wir das, wie wir spielen wollten, auf eine viel höhere Ebene gebracht haben.
Die Infrastruktur in Köln ist anders als in Leipzig. Ist diese Mathematisierung des Fußballs hier möglich?
Beierlorzer: Die Erkenntnisse aus Leipzig habe ich ja mitgenommen. Die hier umzusetzen, ist definitiv möglich. Wir haben fast den gleichen Personalstatus. Wir haben zwei Videoanalysten, zwei Athletiktrainer und zwei Co-Trainer. Diese Man-Power ist völlig ausreichend, um das umzusetzen. Wissen Sie: In Regensburg war viel weniger vorhanden. Ich nehme die Dinge so an, wie sie sind und will das Beste daraus machen. Wir haben hier richtig gute Bedingungen. Klar sagt jetzt der eine oder andere, das Geißbockheim ist schon ein wenig in die Jahre gekommen. Dafür haben wir andere Dinge, die es besonders machen.
Nochmal zurück zur Ihrer Spielphilosophie. Die ist sehr fordernd. Man muss aktiv sein, sehr viel sprinten. Können damit auch etablierte und ältere Spieler umgehen?
Beierlorzer: Ich habe meine Mannschaft bislang sehr offen wahrgenommen. Was ich bemerkenswert fand: Wir haben ihr in der Videoanalyse Szenen aus der letzten Saison gezeigt, wo eigentlich genauso gespielt wurde, wie wir es jetzt einfordern: Sehr aktiv, mit viel Aggressivität, vielen Sprints und schnelles Anlaufen, von hinten Bälle klauen. Jetzt geht es darum, das noch strukturierter zu machen – und zwar als ganzes Team.
Die RB-Schule spült ja immer mehr Trainer in die Bundesliga. Könnte diese Schule womöglich irgendwann auch mal die Nationalmannschaft erreichen, wenn Jogi Löw nicht mehr Bundestrainer ist?
Beierlorzer: Das ist eine gewagte These. Mir geht es prinzipiell um etwas Anderes: Ich habe ja erwähnt, dass ich mir diese Spielweise ein Stück weit selbst angeeignet habe. Das ist auch eine Frage der Einstellung. Denken Sie an die Kroaten bei der WM. Das war doch bemerkenswert, dass es eine Mannschaft gab, die ihr Herz in die Hand genommen und nach vorne gespielt hat, die versucht hat, aggressiv anzulaufen und es nicht gemacht hat wie die Franzosen, die sich zurückgezogen und teilweise nur mit einem Stürmer gespielt haben. Das hat auch funktioniert. Es gibt so viele Systeme, so viele Spielweisen, die funktionieren. Für mich ist immer nur wichtig, dass man einen Plan hat, den man seiner Mannschaft vermittelt und täglich auf dem Platz umsetzt.
Machen Sie sich bei solchen Spielen auch Notizen?
Beierlorzer: Gedanklich. Natürlich schaue ich, was zum Beispiel der FC Liverpool macht. Die sind Champions-League-Sieger. Also müssen sie vieles sehr richtig gemacht haben. Ich habe das Gefühl, dass die Spieler auch den Vorteil dieser Spielweise sehen. Das sage ich auch meinen Spielern. Hohe Ballgewinne in der Dynamik etwa. Dann sind die Wege zum Tor kürzer und der Vorsprung gegenüber den Verteidigern größer. Wenn man dazu noch Qualität mitbringt, kann man Dominanz erzeugen. Auch im Spiel mit dem Ball – und nicht nur dagegen.
Ist diese Dominanz für Sie in auch der Bundesliga zu erreichen – selbst wenn es gegen Bayern oder Dortmund geht?
Beierlorzer: Gewisse Nuancen muss man sich als Trainer offen halten, damit man situativ auf die einzelnen Spiele eingehen kann. Aber wie ich schon mehrfach gesagt habe: Es geht nicht um Grundordnungen, sondern um Prinzipien. Den Gegner weit weg vom eigenen Tor zu halten, macht schon Sinn. Auch den Gegner im Spielaufbau bereits unter Druck zu setzen. Und so könnte ich noch weitere Prinzipien aufzählen, die für unser Spiel wichtig sind und die wir uns jeden Tag im Training erarbeiten. Ob man diese Art von Fußball jetzt tiefer oder ganz vorne ansetzt, ob man jetzt mit einem oder drei oder vier Spielern attackiert: Das sind die Momente, in denen ich auf die Anforderungen des jeweiligen Spiels eingehe.
Es gab vor einigen Wochen ein Interview mit Anthony Modeste, in dem er gesagt hat, dass die Stimmung nach seiner Rückkehr im vergangenen Jahr nicht gut war. Konnten Sie die Uhr auf Null stellen?
Beierlorzer: Am Anfang war ich von der Stimmung überrascht. Denn medial und von Teilen der Fans wurde der Aufstieg irgendwie nur hingenommen. Nach dem Motto: Ihr habt den Schaden behoben. Dabei weiß ich aus eigener Erfahrung mit Leipzig, wie schwer es ist, als Favorit aufzusteigen. Da benötigst du eine ganz große Frustrationstoleranz. Wir haben gefeiert ohne Ende, als wir das geschafft hatten. Und das habe ich meiner Mannschaft beim ersten Treffen auch gesagt: Lasst euch nichts einreden, ihr seid als Meister aufgestiegen. Danach habe ich von schlechter Stimmung nichts mehr wahrgenommen.
Viele sagen, Ihre Mannschaft hat ein Abwehrproblem.
Beierlorzer: Es gib kein Problem. Wir haben in allen Mannschaftsteilen richtig tolle Spieler. Und es gibt nicht die Abwehr, das Mittelfeld oder den Angriff. Es ist eine Mannschaft und die muss als Einheit agieren. Und wenn wir über Abwehr sprechen, sprechen wir gleichzeitig über die Angreifer. Ich habe am Wochenende gesagt, dass wir große Qualität in unserer Mannschaft haben, aber was ist eigentlich Qualität? Qualität ist das, was ich auf dem Platz sehe.
Wenn über den FC gesprochen wird, wird auch über den starken Sturm mit Jhon Cordoba, Anthony Modeste und Simon Terrode diskutiert. Schwierig, jemanden von denen auf die Bank setzen zu müssen?
Beierlorzer: Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht dabei. In den ersten Jahren als Trainer war das ab und zu noch der Fall, weil man als empathischer Mensch mit seinen Spielern fühlt, die nicht spielen. Aber tatsächlich ist es doch so: Jeder Spieler, auch wenn er am Anfang nicht spielt, kommt im Laufe der Saison auf seine Einsätze und ist extrem wichtig für die Mannschaft. Dabei entscheide ich mich für einen Spieler und niemals gegen den anderen.
Hilft Ihnen da auch Ihr pädagogischer Hintergrund?
Beierlorzer: Ich denke schon – und ich würde mich auch als empathischen Menschen beschreiben. Wichtiger ist mir jedoch, gradlinig zu sein und jemandem ganz offen zu sagen: So, ich habe mich jetzt dafür entschieden. Jeder Spieler, bei dem die Entscheidung eng war, kriegt das persönlich von mir gesagt. Das ist einfach besser, als ihm stattdessen einen Zettel mit der Aufstellung zu präsentieren.
Wie beurteilen Sie die tägliche Zusammenarbeit mit Armin Veh?
Beierlorzer: Extrem kooperativ. Wir sind jeden Tag im Austausch, und ich kann es mir derzeit nicht besser wünschen. Armin ist auch jemand, der seine Meinung mit einbringt, ohne sich einzumischen. Und das ist gut. Als ehemaliger Trainer hat er einen sehr guten Einblick in die Gesamtsituation. Klar ist aber auch, und da steht auch Armin voll dahinter: Am Ende bin ich derjenige, der die sportlichen Entscheidungen trifft.
Kannten Sie sich schon vorher?
Beierlorzer: In der Tat gibt es da eine lustige Episode aus der Vergangenheit. Als ich 1996 als Spieler der SpVgg Fürth noch einen Zwei-Jahres-Vertrag hatte, kam es zur Fusion zwischen Fürth und dem TSV Vestenbergsgreuth zum heutigen Club Greuther Fürth. Als neuer Trainer kam dann Armin Veh, und der hatte eine andere Idee für die Position, auf der ich damals gespielt habe. Damals wurden sieben Spieler der SpVgg und sieben Spieler aus Vestenbergsgreuth in die Mannschaft übernommen. Und ich gehörte nicht dazu. Das war auch in Ordnung für mich. Ich hatte immer eine gute Selbsteinschätzung und ich zählte einfach nicht zu den besten sieben Spielern. Ich war zwar immer Stammspieler, aber ich war eher eine fleißige Arbeitsbiene auf der Sechs. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, um über den FC zu sprechen, haben wir uns erstmal 20 Minuten über diese Zeit unterhalten. Wir hatten es beide noch auf dem Plan.
Bis zum 2. September ist das Transferfenster noch geöffnet. Wird der FC nochmal aktiv?
Beierlorzer: Auf der Zugangsseite wird sich definitiv nichts mehr tun. Wir haben genau die Positionen besetzt, die wir vor der Saison ins Auge gefasst haben.
Was muss passieren, damit Sie am Saisonende sagen, das war ein richtig gutes Jahr in Köln?
Beierlorzer: Möglichst wenig mit der unteren Tabellenregion zu tun haben, die junge Mannschaft weiterentwickeln und dass wir für unsere Fans, die uns schon im Pokalspiel in Wiesbaden fantastisch unterstützt haben, Highlightspiele abliefern. Wenn das alles eintrifft, sind wir alle mehr als zufrieden.