König Carlsen spürt enorme Erwartungen der Schach-Welt
Chennai (dpa) - Mit dem Aufbruch in eine neue Ära will sich Magnus Carlsen noch etwas Zeit lassen. Zu müde ist der neue König der Schach-Welt noch von seinem beeindruckenden Triumph im Generationenduell mit Titelverteidiger Viswanathan Anand.
„Ich werde versuchen, den Titel ein bisschen zu genießen. Später will ich dann an die Zukunft denken“, sagte der Wunderjunge aus Norwegen an seinem ersten Wochenende als Weltmeister. Doch lange wird sich der 22-Jährige den enormen Erwartungen nicht entziehen können.
Den sprunghaft gewachsenen Druck spürt Carlsen schon. „Vielleicht höre ich jetzt auf mit dem Schachspiel und bin einfach nur eine Berühmtheit“, scherzte der Twen kurz nach dem Titelgewinn. Statt einer rauschenden Party hatte sich Carlsen zu einer langen Pokernacht auf sein Hotelzimmer zurückgezogen. Erstmal weg von der riesigen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.
Die weltweite Schach-Gemeinde aber wartet ungeduldig auf den Neustart, den Carlsens Titel initiieren soll. Jung, sexy, erfolgreich - Carlsen könnte den Schachsport als Posterboy von der eher muffigen Gegenwart in eine leuchtende Zukunft führen. Das zumindest ersehnen diejenigen, die genug von den Dauer-Querelen im erstarrten Weltverband FIDE haben und sich dringend frische Impulse für das Schachspiel wünschen. „Lasst uns doch die Geschichtsbücher später schreiben“, meinte Carlsen eher abwehrend.
Mit seinem rasanten Aufstieg zum Besten seiner Zunft hat der neue Champion selbst die Fantasien beflügelt. Bereits mit 13 war er Internationaler Großmeister, seit vier Jahren führt er die Weltrangliste an. Im Februar dieses Jahres erreichte Carlsen eine Elo-Zahl von 2872 Punkten, die höchste in der Geschichte. Die Zahl beschreibt die Stärke eines Schachspielers, also sein wahres Können.
Auch als Werbe-Botschafter einer Modemarke machte Carlsen eine gute Figur, wurde mit den Stil-Ikonen David Beckham und Justin Bieber verglichen. Die norwegische Zeitung „Verdens Gang“ kürte den neuen Nationalhelden nach seinem Titelgewinn zum Schachspieler mit dem größten Sexappeal weltweit. Das „Time Magazin“ hievte ihn sogar schon im April auf die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten.
Die Frage, ob Carlsen seinen Sport als globaler Botschafter wieder aus der Nische herausführen kann, muss zunächst einmal er selbst beantworten. In Norwegen zumindest ist mit Carlsens steigender Popularität eine wahre Schach-Euphorie entbrannt. Vielleicht könnte sogar die WM 2014 in dem kleinen Land im Norden stattfinden, vermuten Medien. Aber das, wirft die Tageszeitung „VG“ ein, würde für den Veranstalter teuer.
Auch die Suche nach dem besten Herausforderer für den gerade erst gekürten Weltmeister hat bereits begonnen. Munter spekulieren die Medien darüber, wer den Norweger wieder vom Thron stoßen könnte - Vladimir Kramnik, Levon Aronian oder doch wieder Anand.
„Indien und China haben viele spannende Talente, aber sie sind alle sehr jung und werden Magnus für viele Jahre nicht herausfordern können“, sagte Carlsens früherer Trainer Simen Agdestein. So dürfte es auch für den schon als neues Wunderkind gefeierten Chinesen Wei Yi mit seinen 14 Jahren noch ein bisschen zu früh sein, den neuen Champion zu schlagen. Carlsens einziger Kommentar zu diesem Thema: „Ich fürchte niemanden.“