Als Rechtsanwältin zur WM: Nadine Hildebrand
Sopot (dpa) - Auf einmal ist Nadine Hildebrand eine gefragte Frau. Es ist zwei Wochen vor der Hallen-WM, die Hürdensprinterin kommt bei den deutschen Meisterschaften in Leipzig gerade von der Siegerehrung und wird am Ausgang der Halle von gleich zwei Pulks Journalisten erwartet.
Hildebrand bleibt erst einmal stehen zwischen den Gruppen, weil ihr Handy klingelt. „Ich bin super zufrieden“, sagt sie in die Leitung. Auch da war ein Reporter dran.
„Deutschlands schnellste Rechtsanwältin“. Oder: „Nadine Hildebrand prescht ins Rampenlicht“. Das sind zurzeit die Schlagzeilen, die über die 26-Jährige geschrieben werden. Hildebrand hat dazu gleich zwei Vorlagen auf einmal geliefert: Zum einen steigerte sie sich in dieser Winter-Saison von einer rein nationalen Größe der deutschen Leichtathletik zu einer Finalkandidatin bei der Hallen-WM von Freitag bis Sonntag in Sopot. Mehr als drei Wochen hielt sie im Februar sogar die Weltjahresbestzeit über 60 Meter Hürden (7,91 Sekunden).
Das Erstaunlichste daran ist aber, dass sie parallel dazu auch noch halbtags in einer Stuttgarter Kanzlei arbeitet, Schwerpunkt Transport- und Speditionsrecht, nach dem vollen und nicht gerade leistungssport-förderlichen Programm aus Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Auf die Frage, wie sie das alles unter einen Hut bringt, sagt Hildebrand nur: „Keine Ahnung. Das kann ich Ihnen ehrlich nicht sagen. Ich habe es einfach mal versucht.“
Mit ihrem Werdegang passt die Athletin des VfL Sindelfingen gerade sehr gut in eine Debatte hinein, die ich schon länger innerhalb der deutschen Leichtathletik regt. DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska nennt sie ein „sehr gutes Beispiel“ für die vom Verband propagierte duale Karriere, die den Leistungssport mit einem Studium oder einer Ausbildung verbindet. Kritiker wie Diskus-Star Robert Harting dagegen sehen in diesem Modell nur einer permanente Überforderung, bei der man zwei Ziele gleichzeitig, aber keines davon richtig verfolgt.
Nadine Hildebrand könnte sich nun hinstellen und sagen: „Seht her, so geht es“, aber das tut sie nicht. Die 26-Jährige spricht ganz offen von einer „großen Belastung“ und dass sie in Studium und Beruf „die gleiche Disziplin hinlegen muss wie im Training. Zeitmanagement ist alles für mich“, sagt sie. „Sonst geht es nicht.“ In Hildebrands Kanzlei verdreht immerhin niemand die Augen, wenn sie mal wieder zu einem Wettkampf wie der WM oder dem ISTAF Indoor in Berlin muss, wo sie zuletzt Zweite hinter Olympiasiegerin Sally Pearson aus Australien wurde. Im Gegenteil, sagt sie: „Die Kollegen unterstützen mich und drücken mir vor dem Fernseher die Daumen. Sonst könnte ich das alles vergessen.“
Für ihren sportlichen Aufschwung gibt es derweil nicht den einen entscheidenden Grund, sondern mehrere. Hildebrand hat 2013 noch einmal den Trainer gewechselt und steht auch nicht mehr im Schatten der dauerverletzten Carolin Nytra. Bei aller Belastung durch ihren Beruf verspürt sie im Gegensatz zu anderen Athleten auch keinen Existenzdruck mehr, wie es nach der Karriere mit ihr weitergehen soll. „In diese Panik wollte ich nie verfallen“, meint Hildebrand. „Mir war immer klar, dass ich nicht bis 60 Leistungssport mache.“
In Sopot will sie am Samstag das Finale der besten Sechs erreichen. „Das wäre mein erstes WM-Finale“, sagt die deutsche Meisterin. „Dass ich auch mit internationaler Konkurrenz mithalten kann, habe ich schon mehrfach gezeigt. Das gibt mir Sicherheit. Egal, welche Namen neben mir stehen, ich brauche keine Angst zu haben.“
In der Weltjahresbestenliste zogen zwar mittlerweile Pearson und vier Amerikanerinnen an ihr vorbei, aber dafür blieb Hildebrand zuletzt regelmäßig unter 8,00 Sekunden. „Das ist eine sehr schöne Entwicklung“, lobt DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. „Sie kann mit großem Selbstbewusstsein nach Sopot fahren.“