Der Fall Rehm: langsam im Anlauf, schnell beim Sprung
Frankfurt/Main (dpa) - Der Fall des Prothesen-Weitspringers Markus spaltet nicht nur den deutschen Sport.
Fragen und Antworten zu einem - nicht nur biomechanisch - komplexen Fall:
Wird Markus Rehm nun auch der Titel des deutschen Meisters aberkannt?
Davon ist auszugehen. Der Bundesausschuss für Wettkampf-Organisation beim Deutschen Leichtathletik (DLV) entscheidet darüber. Rehm war in Ulm mit 8,24 Meter vier Zentimeter weiter gesprungen als sein Rivale Christian Reif.
Welche rechtlichen Möglichkeiten hätte Rehm, gegen die Nicht-Nominierung für die EM vorzugehen?
Rehm könnte den Rechtsausschuss des DLV anrufen oder ein ordentliches Gericht - will er aber nicht. Eine Athletenvereinbarung hat er laut Verband nicht abgeschlossen, sonst hätte er sich an das deutsche Sportschiedsgericht wenden können.
Was haben die Messungen der Biomechaniker vom Olympiastützpunkt Frankfurt ergeben?
Rehm sprang in Ulm etwas weiter als Reif, obwohl er deutlich langsamer angelaufen war: 9,72 Meter pro Sekunde hatte er kurz vor dem Absprung drauf, gegenüber den 10,74 Meter pro Sekunde von Reif. Das entspricht etwa der Anlauf-Geschwindigkeit der besten deutschen Weitspringerinnen. Dennoch hatte Rehm beim Verlassen des Bodens eine Vertikalgeschwindigkeit von 3,65 Meter/Sekunde, Reif nur von 2,98.
Was bedeutet seine Sprungweite?
Damit liegt der sogenannte „Bilanzkoeffizient“ zur Effektivität des Absprungs bei dem Prothesenspringer bei 2,5 und bei Reif nur bei 0,43. Das lässt darauf schließen, dass die Prothese eine Federwirkung hat und somit ein technisches Hilfsmittel ist. Bei den Messungen wurden nicht nur die Daten Reifs herangezogen, sondern aus dem Archiv auch von 32 weiteren Weitspringern, die zwischen 8,00 und 8,59 Meter weit kamen.
Warum darf Oscar Pistorius bei den Nichtbehinderten starten und wird normal gewertet - und Rehm nicht?
Der beidseitig beinamputierte südafrikanische Sprinter war bis vor das Internationalen Sportgerichtshof (CAS) gezogen und hatte erfolgreich sein Startrecht eingeklagt. Der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) hatte nach einem Gutachten des Biomechanik-Professor Gert-Peter Brüggemann von der Sporthochschule Köln dies zunächst abgelehnt. Der CAS betonte damals im Mai 2008 ausdrücklich, dass dies eine Einzelfallentscheidung sei. Daraus könne man keinen Anspruch für vergleichbare Fälle ableiten. Bei Pistorius seien die Nachteile, die er durch seien Prothesen habe, nur unzureichend berücksichtigt worden. Experten sagen, das im Grunde jeder Fall einzeln geprüft werden müsse. DLV-Präsident Clemens Prokop hofft aber auf eine weltweit einheitliche Regelung.
Warum nominiert der DLV Julian Howard anstelle von Rehm für die EM?
Nach den komplizierten DLV-Nominierungsrichtlinien hat nur Christian Reif (Rehlingen) die geforderten 1. DLV-A-Norm (8,05 Meter) UND die 2. DLV-A-Norm (7,95) übertroffen. EM-Titelverteidiger Sebastian Bayer (Hamburg) und Rehm haben nur die erste Weite geschafft. Der Karlsruher Julian Howard steht mit 8,04 in der Bestenliste und kam in diesem Jahr schon auf Weiten knapp unter acht Meter. Er kann deshalb zur EM mitgenommen werden, wenn nicht drei andere Springer die erste und zweite Norm erfüllt haben. Im Gegensatz zu Rehm ist seine Leistung über allen Zweifeln erhaben. Zudem liegt die Nominierung am Ende auch im Ermessen des Bundesausschuss Leistungssport des DLV.
Mehr als drei Weitspringer darf der Verband aber nicht nominieren. Hat der DLV den Fall verschlafen?
Der Verband behauptet, er sei schon länger mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) in Kontakt gestanden zu haben. Ein Gutachten zu erstellen sei aber verworfen worden, weil die (fünfstelligen) Kosten die Haushaltsmöglichkeiten des DLV überstiegen hätten. Rehm und seine Trainerin Steffi Nerius meinen, der Verband hätte sich früher um die Problematik kümmern können. Jetzt musste der DLV jedenfalls unter großem Zeitdruck über die EM-Nominierung Rehms entscheiden.