Der große Bluff: Storls WM-Volltreffer nach Plan
Moskau (dpa) - Am Tag nach seinem zweiten Gold-Coup spazierte David Storl mit seinem Trainer Sven Lang gemächlich über den Roten Platz von Moskau. Von der unglaublichen Explosivität, die der Kugelstoß-Weltmeister im Ring ausstrahlt, war nichts zu spüren.
Völlig gelassen und sichtlich zufrieden ließ er sich am Samstag mit einigen Touristinnen ablichten. „Eine Medaille war Minimalziel, Gold war das, was ich mir vorgenommen habe. Und ich bin stolz auf mich selbst“, sagte der erst 23 Jahre alte Chemnitzer.
Am Abend zuvor war dem Milchgesicht im Luschniki-Stadion der größte Bluff seiner Karriere gelungen. Während Storl vor der Leichtathletik-WM bei den Meetings ungültige Versuche in Serie gestoßen und die Konkurrenz schon frohlockt hatte, landete er beim Saisonhöhepunkt den präzisen Volltreffer. „Ich bin nicht hierher gefahren, um meinen Weltmeistertitel herzuschenken. Darauf habe ich mich vorbereitet“, sagte Storl nach seiner Titelverteidigung. „Echt krass. Das ist einfach ein Wettkampf-Typ“, kommentierte am nächsten Morgen Diskus-Weltmeister Robert Harting den nächsten Streich seines coolen Kollegen.
Für Storl und Trainer Lang zählte nur der Tag X. „Er hat mich darauf vorbereitet, dass nur dieser Tag bei der WM interessant ist. So ist unser Training ausgerichtet gewesen“, erzählte Storl und gab auch zu: „Für mich ist es manchmal hart, bei einem Meeting unter meinem Niveau wegzugehen, wenn ich im Training schon weiter bin, es aber nicht zeigen kann.“
Vom Meeting-Mitläufer zum Doppel-Weltmeister! Damit kann das Kraftpaket gut leben, zumal er selbst nicht hundertprozentig sicher war, ob die Punktlandung gelingen würde. „Ich finde es nach meinen Vorleistung erstaunlich, dass ich so einen souveränen Wettkampf gemacht habe“, meinte Storl nach 21,19 und 21,24 sowie 21,71 Metern. „Alle Versuche im Finale waren Saisonbestleistung. Und dass noch so ein kleiner Ausrutscher dazu gekommen ist, damit kann ich leben.“
Geschockt davon, dass ihn der Deutsche nach einem 21,57-Meter-Stoß im ersten Versuch noch vom Gold-Rang verdrängte, war Ryan Whiting. Hoffnung schöpfte der Amerikaner nur kurz, als die Kampfrichter Storls vierten Versuch auf 21,73 Meter zunächst ungültig werteten. Dank der Bilder des Reuters-Fotografen Kai Pfaffenbach, auf denen kein Übertreten der Ringkante zu erkennen war, konnte er die Offiziellen davon überzeugen, die Fehlentscheidung zu revidieren.
„Ich hätte die Kampfrichter auch ohne das Foto überzeugt, sich das Video anzuschauen und zu sagen, dass der Versuch gültig ist“, erklärte der Schwerathlet, der als erster Kugelstoßer nach John Godina (USA/1995 und 1997) seinen WM-Titel verteidigte. „Das Gefühl habe ich eben im Fuß, dass ich sagen kann, wann es gültig ist oder nicht. Sonst hätte der Fuß auch im nächsten Versuch noch wehgetan.“
Der zweite WM-Triumph wird dem 1,98 Meter langen und 127 Kilogramm schweren Kugelstoß-Riesen nicht nur wegen des Kampfes mit den Kampfrichtern in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen der Mühsal in diesem Jahr. Der Sieg als jüngster Kugelstoß-Weltmeister der Geschichte 2011 und Silber bei den Olympischen Spielen 2012 waren an dem Sachsen nicht spurlos vorbeigegangen. „Nach London hat ein bisschen die innere Anspannung gefehlt, das Kribbeln im Bauch nachgelassen“, bekannte Storl. „Mit 23 Jahre habe ich viel erreicht, das muss man alles erst mal verarbeiten und dauert ein Stück.“
In Zukunft hofft Storl, dass ihm die Kugel wieder einfacher von der Hand geht. „Nächstes Jahr soll die Vorfreude auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro aufkommen. Dann weiß man wieder, wofür man trainiert.“ Natürlich will er auch seinen Europameistertitel in Zürich verteidigen und vor allem eines schaffen: „Irgendwann sollte ich mal 22 Meter stoßen.“ Trainer Lang, der seit 2006 den oft als „Jahrhunderttalent“ bezeichneten zweifachen Weltmeister betreut, sagte: „Bei den Olympischen Spielen 2016 wäre David 26. Das ist ein Alter, wo das Kugelstoßen eigentlich erst anfängt.“