Ernst über Bolt: „Er wird sie alle Lügen strafen“
Oslo (dpa) - Nach fast neun Jahren treffen sich Usain Bolt und Sebastian Ernst wieder - doch die Sprint-Party im weltbekannten Bislett-Stadion wird nur rund 20 Sekunden dauern.
„Als wir im Juli 2002 zum letzten Mal gegeneinander gelaufen sind, da hat Usain Bolt schon für seine Siegerposen trainiert. Das war bei der Junioren- Weltmeisterschaft in Jamaika. Es gab zwei Duelle: im Vorlauf und im Finale“, sagt der beste deutsche 200-Meter-Sprinter des vergangenen Jahres in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Beide Rennen hatte der damals erst 15 Jahre junge Jamaikaner klar gewonnen. Und der 24-Jährige lässt sich schon längst nicht mehr unter Druck setzen. „Was die Leute sagen, ist mir egal. Ich will hier gewinnen, über Zeiten mache ich mir keine Gedanken. Das Einzige, was in diesem Jahr zählt, sind die Weltmeisterschaften“, sagte Bolt auf einer Pressekonferenz im Osloer Rathaus. „Die Bahn fühlt sich gut an“, meinte der Weltrekordler, der Norwegens Hauptstadt schon mal erkundet und im Stadion trainiert hat.
Ernst ist jetzt 26, und er absolviert am Donnerstagabend in Oslo über 200 Meter seinen ersten Einzelstart in der Diamond League. Mehr als ehrenvoll mithalten kann der Leichtathlet vom TV Wattenscheid in dem Weltklassefeld zwar nicht. Doch im Windschatten von Weltrekordler Bolt (19,19 Sekunden) will der EM-Halbfinalist die WM-Norm (20,54) packen. „Für mich ist Oslo ein Highlight. Einem Usain Bolt kann man höchstens hinterherlaufen. Aber man kann sich ziehen lassen und sich gut verkaufen“, meint der Schützling von Trainer André Ernst.
Der Kult um den schnellsten Mann der Welt, die Ein-Mann-Show des Karibik-Sprinters - all das stört Ernst überhaupt nicht. „Die Medien stellen ihn als Übermenschen hin. Warum soll ich mich darüber aufregen? Dem Besten gehört die Ehre, Hut ab“, sagt Ernst über Bolt, der seine letzte Niederlage über 200 Meter am 14. September 2007 in Brüssel kassierte.
Dass der Olympiasieger und Weltmeister zuletzt über 100 Meter zweimal „nur“ 9,91 Sekunden auf die Bahn legte, ist für Ernst kein Zeichen von Schwäche. Im Gegenteil: „Er wird in Oslo im Fokus sein. Er wird sie alle Lügen strafen und wieder gewinnen. Ich glaube, er lässt noch mal einen raus!“
Für die olympische Kernsportart, die immer mehr in den Schatten der telegenen Ballsportarten gerät, ist Superstar Bolt nach Meinung von Ernst ein Segen. „Wenn es einen Usain Bolt nicht geben würde, wo wäre denn dann die Leichtathletik? Dann würden wir alle nicht so im Rampenlicht stehen“, versichert der deutsche 200-Meter-Spezialist, der vor neun Jahren, im WM-Vorlauf in Kingston, ganz gut gegen Bolt aussah: Der Publikumsliebling gewann damals mit Junioren-Weltrekord (20,58). Ernst wurde Zweiter (20,97) - und im Finale dann Sechster.
Dass sein „Hausrekord“ schon seit 2004 wie in Stein gemeißelt bei 20,36 Sekunden steht, ist für Ernst keine Überraschung. „Ich hab' ja die Trainer im Jahrestakt gewechselt, das war nicht gut für meine Entwicklung“, gesteht er. Mit Coach André Ernst, der ihn seit der Hallensaison 2010 betreut, ist der Sprinter „sehr zufrieden“. In der WM-Saison will er sich mit Zeiten um 20,40 Sekunden stabilisieren.
Und der deutsche 200-Meter-Rekord von Tobias Unger? Im EM-Jahr pirschte sich Ernst bis auf 18/100 an die Rekordmarke von 20,20 Sekunden heran. „Dazu sind sehr gute Bedingungen und ein optimaler Lauf nötig“, erklärt der Wattenscheider. Und überhaupt: „Rekorde sollte man nicht ankündigen. Die fallen von allein.“