Freude, Angst und Zweifel: Diskus-Ass Harting vor Comeback
Rom (dpa) - Auf den Flug nach Rom freut sich Robert Harting schon, doch vor seinem Comeback wird der Diskuswurf-Olympiasieger zum ersten Mal in seiner Karriere von Selbstzweifeln und Versagensängsten geplagt.
Wie wird die kurze Saison laufen? Olympia in Rio de Janeiro etwa ohne Robert Harting? Die Antwort darauf muss der Berliner in den nächsten Wochen selber geben. Sicher ist: Es wird ein Kampf auf Biegen und Brechen. Denn noch fliegt die Zwei-Kilo-Scheibe nicht so, wie es der 2,01-Meter-Mann will - und kann.
„Es gibt eine klare Bedrohung, bei Olympia nicht dabei zu sein. Nicht vorneweg zu marschieren, nicht das zu erreichen, was ich mir für diese Saison vorgenommen habe“, sagte der Weltklasse-Athlet in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur im Bundesleistungszentrum Kienbaum. Der 125 Kilo schwere Leichtathlet hat Respekt vor der Aufgabe, und er gibt zu: „Ja, das ist auch Versagensangst. Da mache ich auch gar keinen Hehl daraus.“
Beim Diamond-League-Meeting in Rom gibt der dreimalige Weltmeister am Donnerstag praktisch schon sein zweites Comeback nach seinem Kreuzbandriss im Herbst 2014. Mehrfach hat er es verschoben, um letztlich Olympia nicht zu gefährden. Nun ist Olympia in Gefahr, wenn er weiter zögert. Harting muss. 636 Tage nach seinem bis dato letzten Stadion-Wettkampf - am 5. September 2014 in Brüssel - kehrt der Kämpfer in die Arena zurück.
Doch auch Harting weiß nicht genau, wo er vor dem Härtetest im Stadio Olimpico steht. Eine spannende Situation, findet der 31-Jährige. „Ich kann natürlich Diskuswerfen, aber ich habe in meiner Karriere noch nie so ein schlechtes Ausgangsniveau gehabt wie jetzt“, gesteht er.
Bei seiner ersten Rückkehr, am 13. Februar, war Harting beim Berliner ISTAF Indoor sogar als Sieger aus dem Ring gegangen. Danach lief es zunächst gut, dann kamen wieder Verletzungen dazwischen, Harting brach das Trainingslager in Florida ab. Seinen für Mitte Mai geplanten Freiluft-Start in Wiesbaden verschob er.
Erst zwickte der Brustmuskel, nun quälen ihn Schmerzen im Knie. „Es hört nicht auf, weh zu tun“, klagt der Schützling von Trainer Torsten Schmidt. „Dadurch entsteht immer mehr eine Schonhaltung, die technikfremd ist.“ Bei seinem besten Trainingswurf in Kienbaum flog die Scheibe 62,40 Meter weit.
Auch ein London-Olympiasieger bekommt kein Freiticket für die Sommerspiele am Zuckerhut. Harting muss sich also qualifizieren, dabei ist die Norm des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), 65 Meter, nicht das Problem. Eher, dass schon ein DLV-Trio weiter geworfen hat, darunter sein jüngerer Bruder Christoph. Ein Vierkampf um drei Olympia-Tickets - und er dabei? Das kennt ein Robert Harting nicht. Und das braucht er nicht.
Deshalb muss er bei den „Deutschen“, am 18./19. Juni in Kassel, topfit sein. „Das werden für mich richtige Armageddon-
Meisterschaften. Da geht's um alles! Denn der Erste mit Norm ist durch für Rio“, erklärt Harting die Situation. 66 Meter sind sein Saisonziel bis zum 1. Juli. Ob das dann reicht? Schon jetzt haben drei Mitstreiter weiter geworfen - alle über 67 Meter.
Dass er jetzt ein echtes Problem hat und angreifen muss, findet Harting aber auch „total toll“ und spannend. „Durch die ganze Situation, Russland, die IAAF, ist mir auch ein Stück Leidenschaft weggebrochen“, gesteht der passionierte Spitzensportler. „Und so bleibt mir in dieser Situation nur noch der sportliche Wettstreit.“
Die russischen Leichtathleten sind im November 2015 vom Weltverband IAAF suspendiert worden - derzeit fallen sie nur wegen ständig neuer Dopingaffären auf. Am 17. Juni entscheidet die IAAF über einen Olympia-Bann der Mannschaft um Stabhochsprung-Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa. „Eine Sperre der Russen wäre das richtige Signal. Und ich finde es auch absolut notwendig, dass man sich endlich mal für Werte entscheidet - und nicht für das Kapital“, sagte Harting in dem dpa-Gespräch. „Wenn Russland die Starterlaubnis kriegt, würde in mir der letzte Funken meines Glaubens erlöschen, den ich ans IOC und an die IAAF noch habe.“