IAAF-Krise wird immer größer - Präsident Coe unter Druck

Wien (dpa) - Der Leichtathletik-Weltverband IAAF rutscht immer tiefer in die Krise. Kurz vor dem wegweisenden Urteil über einen Olympia-Ausschluss der russischen Athleten wegen systematischen Dopings ist Präsident Sebastian Coe mit schweren Vorwürfen konfrontiert worden.

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In der Fernsehsendung „Panorama“ der BBC wird berichtet, dass der Olympiasieger von 1980 und 1984 unlautere Hilfe bei seiner Wahl zum IAAF-Chef genutzt und sich mutmaßlich im Doping-und Betrugsfall der russischen Marathonläuferin Lilia Schobuchowa falsch verhalten habe.

Clemens Prokop sieht durch die Anschuldigungen gegen den Briten die Bewältigung der IAAF-Krise stark gestört. „Wenn die Vorwürfe zutreffen würden, hätte das Folgen für die Integrität von Coe“, sagte der deutsche Leichtathletik-Präsident am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „Losgelöst davon braucht die IAAF in diesen schweren Zeiten eine stringente Führung und keine, die geschwächt ist.“

In der BBC-Sendung wurde berichtetet, dass Coe angeblich mit Hilfe des dubiosen früheren IAAF-Beraters Papa Massata Diack die Wahl zum IAAF-Chef im August 2015 in Peking gewonnen habe. E-Mails sollen belegen, dass ihm der Senegalese 24 von 30 Stimmen aus dem afrikanischen Lager („Unterstützung von Afrika bestätigt (24/30)! Viel Glück“) zugeschanzt habe.

Der Sohn von Coes Amtsvorgänger Lamine Diack wird von Interpol wegen Korruptionsverdachts gesucht, Diack Senior ist von der französischen Justiz wegen Korruption unter dem Dach der IAAF angeklagt.

Lord Coe wurde von den Vorwürfen der BBC und des „Daily Mails“ in Wien, wo das IAAF-Council am (heutigen) Freitag über eine Aufhebung oder Verlängerung der Suspendierung Russlands über die Rio-Spiele hinaus entschied, nicht überrascht.

Kaum eine Stunde, nachdem die Anschuldigungen öffentlich wurden, ging eine IAAF-Erklärung in alle Welt. „Zwei große Vorwürfe wurden von der BBC gemacht. Beide basieren auf fehlerhaften Annahmen, die IAAF-Präsident Sebastian Coe stark entkräftet“, hieß es darin.

Zur vermeintlichen Wahlhilfe hieß es: „Die Unterstellung, dass Seb Coe aktiv den Rat von Papa Massata Diack für seine Kampagne gesucht hat, ist falsch.“ Coe gewann im August 2015 auf dem IAAF-Kongress in Peking die Wahl mit 115:92 Stimmen gegen Stabhochsprung-Legende Sergej Bubka.

Ebenfalls nicht richtig sein soll, dass sich Coe im Fall Schobuchowa unkorrekt verhalten habe. Die BBC wirft ihm bewusste Untätigkeit vor: Er habe vier Monate vor dem Bekanntwerden eine entsprechende E-Mail mit Details zu dem betrügerischen Deal bekommen. Die Läuferin wollte sich gegen eine Zahlung von 450 000 Euro an Offizielle der IAAF und Russland trotz einer positiven Blutprobe den Weg zu den Spielen 2012 in London ebnen.

Hat der damalige IAAF-Vizepräsident den Fall verschwiegen, weil er im Wahlkampf um das Präsidentenamt war? Coe will die E-Mail mit Anhang laut IAAF ungeöffnet an die Ethikkommission weitergeleitet haben: „Er hatte nicht das Gefühl, dass es notwendig war, den Anhang zu lesen.“

Während die IAAF mit der Aufarbeitung des Dopingskandals in Russland und der Machenschaften der beiden Diacks Vergangenheitsbewältigung betreibt, arbeitet mn in der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA an einer neuen Strategie für die Zukunft. Verbunden damit ist die Berufung des Münchner Kriminalbeamten Günter Younger zum Direktor der Ermittlungsabteilung der WADA.

„Da keimt Hoffnung auf“, meinte Prokop. „Er kommt von der Polizei und hat ein ganz anderes Ermittlungsverständnis.“ Younger gehörte zur unabhängigen WADA-Kommission, die das systematische Doping in Russlands Leichtathletik und die Korruption in der IAAF-Führung nachweisen konnte.

„Es ist ein überfälliges Zeichen, nachdem die WADA bei Ermittlungen im Weltsport sich bisher auf politische Statements beschränkt hat“, meinte Prokop. Die WADA hat dieses Dilemma erkannt. „Die Ernennung von Younger kommt in einer Zeit, in der die investigative Arbeit im Kampf gegen Doping immer wichtiger wird“, teilte die WADA mit.

Dass die Agentur kurz vor dem IAAF-Urteil in eine Statistik über die Kontrollen im russischen Sport zwischen den 15. Februar und dem 29. Mai veröffentlichte und publik machte, dass 736 geplante Dopingkontrollen nicht umgesetzt werden konnten, passt zur WADA-Wende. Die 736 Tests betrafen nicht nur die Leichtathletik. „Das ist ein sportpolitisches Signal, dass man den Olympia-Ausschluss nicht nur auf die Leichtathletik beschränken kann“, sagte Prokop.