Rehms Sprung über alle Grenzen
Der 25-Jährige wird deutscher Meister. Seine Unterschenkel-Prothese ist nun Gegenstand von Untersuchungen.
Ulm. Der Fall Markus Rehm ist ein Grenzgang des Fair Plays zwischen zwei Sportwelten. Nach dem sensationellen Sieg des unterschenkelamputierten Weitspringers bei den deutschen Meisterschaften in Ulm stehen die Leichtathletik-Verbände unter Zugzwang.
„Die werden sich Gedanken machen müssen. Ich habe für rauchende Köpfe gesorgt“, sagte der neue Held der Inklusion. Mit 8,24 Metern, einer Weltklasseweite auch für nicht behinderte Springer, hat er die Norm für die Europameisterschaften im August in Zürich erfüllt.
Zugleich hat der 25-jährige Leverkusener die Zweifel, ob seine Beinprothese ihm einen Vorteil im Wettstreit verschaffen könnte, weiter geschürt. „Ich habe meine Meinung darüber. Man kann es machen, man muss es nicht“, äußerte sich Ex-Europameister Sebastian Bayer, der mit 7,62 Metern nur Fünfter wurde, kritisch über den Start Rehms.
Für ihn sei die Leistung eines Gehandicapten mit Prothese mit der eines Nichtbehinderten nicht vergleichbar. „Ich kenne mich da zu wenig mit der Materie aus, weiß halt nur, dass seine Prothese 15 Zentimeter länger ist als das gesunde Bein“, sagte Bayer. „Das sieht man ja auch. Mein Sprungbein ist genauso lang wie das andere Bein.“
Paralympics-Sieger Rehm antwortet auf solche Spekulationen sachlich. Die Prothese sei ein flexibles Teil und gebe beim Sprinten nach. Aus diesem Grund müsse sie länger sein als das unversehrte Bein. „Wenn ich die gleiche Länge bei der Prothese wählen würde, würde ich extrem humpeln“, erklärte der Orthopädie-Techniker. Außerdem sei seine Karbon-Stelze nur drei bis vier und nicht 15 Zentimeter länger.
Biomechanische Messungen bei Rehms Sprüngen in Ulm sollen mehr Aufschluss geben, einen richtigen Beweis könnte nur ein wissenschaftliches Gutachten liefern. „Ich bin bereit Lösungen zu finden und möchte Klarheit“, sagte Rehm. Allerdings findet er es schade, sich für eine so gute Weite — seinen Behinderten-Weltrekord übertraf er um 29 Zentimeter — entschuldigen zu müssen: „Ich verstehe die Diskussion, muss mich aber nicht rechtfertigen.“ DOSB-Präsident Alfons Hörmann sprach von einem „historischen Moment“ und einer „hochinteressanten und sportpolitischen Frage, die nicht leicht zu beantworten ist“.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat es jedenfalls versäumt, sich rechtzeitig auf diese Situation einzustellen. Rehm hat im Juli 2013 den Weltrekord von 7,95 Metern aufgestellt. Seine Trainerin Steffi Nerius hat den DLV im Dezember darauf hingewiesen, ihr Schützling könne die Leistung für nichtbehinderte Titelkämpfe „mit 99-prozentiger Sicherheit“ erbringen. „Wir haben hier geschlafen“, bekannte Bundestrainer Uwe Florczak. „Wir hätten vorher überprüfen müssen, ob die Prothese ein unzulässiges Hilfsmittel ist.“
Festlegen wollte er sich nach dem Sieg Rehms nicht, ob er ihn zur Nominierung für die EM vorschlagen wird. „Man muss mir etwas Zeit geben“, sagte er.
Bedenken hat er: „Ich bin 28 Jahre Trainer und habe viele Sprünge über acht Meter gesehen“, meinte Florczak. „Die Anlaufgeschwindigkeit war nicht so hoch wie wir sie kennen bei solchen Sprüngen.“ Gesehen habe er zudem, „dass die Prothese sehr stark nachgibt und sich dann entlädt“.
Für Titelkampf-Konkurrenten Christian Reif, der mit 8,20 Metern Zweiter wurde, ist Rehms EM-Start keine Frage. „Er hat die A-Norm erfüllt und ist Meister. Man hat entschieden, dass er starten darf. Deshalb ist es der richtige Weg, ihn zu nominieren“, sagte der Europameister von 2010.
Ob es nun mit der EM-Teilnahme klappt, wird der DLV am Mittwoch im Zuge der Bekanntgabe des Aufgebots für Zürich mitteilen. Bis dahin sollen auch die Ergebnisse der biomechanischen Messung vorliegen.
Nerius hat derweil ihre eigene Sicht: „Er hat genauso viele Nachteile wie Vorteile. Der erste Nachteil ist, dass er unterschenkelamputiert ist. Ich bin froh, dass ich meinen Unterschenkel noch habe. Diesen Nachteil vergessen viele.“
Ist Markus Rehms Leistung vergleichbar mit denen seiner nichtbehinderten Kontrahenten?
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