Reus kratzt am 100-Meter-Rekord
Weinheim (dpa) - Der deutsche Sprint-Express hat schon den Olympia-Gang eingelegt und sich mit Superzeiten von den Leichtathletik-Fans verabschiedet.
„Der Stadionsprecher ist ja fast ausgerastet, als er die 10,09 Sekunden verkündet hat. Das war schon ein bisschen Ekstase, ich kann es immer noch nicht fassen“, meinte Julian Reus, der im beschaulichen Weinheim zum zweitbesten deutschen 100-Meter-Läufer hinter Rekordmann Frank Emmelmann (10,06) avancierte. „Und dann haben wir auch noch den Staffelrekord pulverisiert. Das war ein perfekter Tag“, sagte Reus.
Als Startläufer gab der 24-Jährige dem deutschen Staffel-Quartett den Schub für eine perfekte Runde: Gleich um 27 Hundertstelsekunden blieben Reus (Wattenscheid), Tobias Unger (Stuttgart), Alexander Kosenkow (Wattenscheid) und Lucas Jakubczyk (Berlin) unter der 30 Jahre alte deutschen Bestmarke. 38,02 Sekunden - nur die USA (37,61) und Jamaika (37,82) waren im Olympia-Jahr schon schneller. Den alten Rekord (38,29 Sekunden) über 4 x 100 Meter hatte noch eine DDR-Staffel am 9. Juli 1982 in Karl-Marx-Stadt aufgestellt.
„Wir haben uns echt verbessert, das war ein Ruck im Männersprint. Phänomenal. Jetzt zahlt sich aus, dass wir breiter aufgestellt sind und einen größeren Konkurrenzkampf haben“, erklärte Bundestrainer Ronald Stein. „Keiner kann sich sicher sein, das war schon vor der WM so. Ich wollte hier einfach sehen, dass die Jungs Gas geben. Da hat sich jetzt die Truppe gefunden, die gut funktioniert und harmoniert.“ Großes Olympia-Ziel ist das Staffel-Finale. „Wir waren in Peking 2008 Fünfter. Warum soll uns das nicht in London wieder gelingen?“
Die DLV-Männerstaffel hatte Anfang August bei den Europameisterschaften in Helsinki Silber gewonnen. „Aber ich wusste, dass wir noch Reserven haben“, meinte Stein. Das gilt auch für Reus. Der Wattenscheider schrammte nur um drei Hundertstelsekunden am deutschen 100-Meter-Uraltrekord des Magdeburgers Emmelmann aus dem Jahre 1985 vorbei.
Stein kam richtig ins Schwärmen: „Sauber, tip-top, alles regulär, da hat alles gepasst. 10,09 - das ist 'ne Hausnummer und eine Ansage von Julian.“ Auch das Wetter spielte mit - und der Wind (+0,7 m/Sek.) war gnädig. „Julian hat gezeigt, dass er den Rekord in den Beinen hat“, betonte der Sprint-Bundestrainer und musste schmunzeln: „Ich glaube, Frank Emmelmann hatte bei seinem Rekord 1,9 Meter pro Sekunde Rückenwind.“
Ein Aha-Erlebnis für seine Sprinter war das Trainingslager im Frühjahr in Clermont/Florida. „Wenn man da Tyson Gay, Justin Gatlin und Martina Churandy sieht, dann schaut man schon mal rüber und will sich was abgucken“, sagte Stein. Was machen die anders, was machen die besser? „Die Amerikaner trainieren viel intensiver, vor allem simulieren sie harte Wettkampfbedingen. Da sitzen dann plötzlich mal acht Mann in den Blöcken - und ab geht's“, erklärte der Trainer.