Vorteil Rehm? Paralympics-Sieger startet bei DM
Ulm (dpa) - Paralympics-Sieger Markus Rehm wird bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften am Samstag in Ulm Weitsprünge in einen rechtsfreien Raum machen. Der 25-jährige Leverkusener startet mit seiner Prothese am rechten Bein unter Vorbehalt.
Biomechanische Messungen beim Titelkampf sollen mehr Aufschluss geben, ob die Karbon-Stelze ihn weiter springen lässt als Nichtbehinderte, ein Beweis sind sie nicht. „Ich werde mich nicht auf so eine Messung verlassen“, sagte Rehm im Interview der Nachrichtenagentur dpa. „Ich bin fair genug und will wissen, ob die Prothese einen Vorteil verschafft. Sonst könnte ich mich über Erfolge über Nichtgehandicapte nicht freuen.“
Doch Gewissheit wird es darüber nach dem Debüt eines Behindertensportlers bei den Meisterschaften der Nichtbehinderten nicht geben. Die Biomechaniker kommen nicht extra wegen Rehm: Die Untersuchungen sind bei Titelkämpfen alljährliche Routine. „Die biomechanische Wettkampfdiagnostik kann keinen signifikanten wissenschaftlichen Nachweis liefern, sondern nur die Wahrscheinlichkeit der Annahme erhöhen, ob die Prothese einen Vorteil bringt oder nicht“, erklärte Thomas Kurschilgen, Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
Dies ist ein Dilemma. Denn Rehm, dem als 14-Jähriger nach einem Wakeboard-Unfall der rechte Unterschenkel amputiert werden musste, ist Weltrekordler der Behinderten mit 7,95 Metern - die Norm für die Europameisterschaften vom 12. bis 17. August in Zürich liegt in Reichweite. „8,05 Meter ist schon eine Wahnsinnsweite, aber sie ist nicht utopisch. Zehn Zentimeter sind nicht die Welt“, meinte er. Bisher haben zwei DLV-Springer die Norm erfüllt: Die Ex-Europameister Christian Reif (8,49) und Sebastian Bayer (8,05). Ein EM-Ticket wäre noch zu vergeben!
„Markus Rehm könnte sich grundsätzlich für die EM qualifizieren“, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop. „Ich bin gespannt. Er ist sicher eine ganz außergewöhnliche Erscheinung und ein fairer Sportler.“ Der von der früheren Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius trainierte Athlet hätte nichts gegen den Sprung zur EM. „Wenn ich gefragt werde und mitfahren darf, dann sehr gerne“, sagte er. „Da müssen aber viele Dinge perfekt laufen.“ Und der europäische Verband EAA seinen Start erlauben. Da abgesehen von den Expertisen der Biomechaniker „kein weiteres Gutachten“ (Prokop) geplant ist, ginge die Debatte weiter.
Ein wenig fühlt sich Rehm wie der deutsche Oscar Pistorius. Der südafrikanische Prothesenläufer hatte sein Startrecht bei Olympischen Spielen mit Erfolg eingeklagt. „Er hat den Behindertensport nach vorne gebracht und das Thema angestoßen“, sagte Rehm. „Jetzt stoße ich das Thema in Deutschland an. Vielleicht ist man ein Vorreiter, um aus dieser Geschichte Normalität zu machen.“
Dabei stößt er auf viel Entgegenkommen und Sympathie, aber auch Skepsis. „Mit dem DLV habe ich sehr angenehme Gespräche geführt“, berichtete Rehm. Auch zum neuen Konkurrenten Reif gebe es einen guten Kontakt. „Wir gehen an das Thema realistisch ran“, sagte er und fügte hinzu: „Es gibt aber auch andere Athleten, denen es nicht so gut gefällt und die meinen Start nicht so entspannt sehen.“
Zurückhaltend äußerte sich Robert Harting über Rehms Teilnahme an den Meisterschaften. „Ich stehe dem Start von Behindertensportlern sehr aufgeschlossen gegenüber“, sagte der deutsche Teamkapitän und Diskus-Olympiasieger, der beim Berliner ISTAF schon gegen den behinderten Werfer Sebastian Dietz angetreten ist. „Aber jetzt schaue ich mir das erst einmal an und werde dann eine Bewertung treffen.“
Dass ein Behinderter bei Titelkämpfen der Nichtbehinderten teilnimmt, wird nach Ansicht Rehms immer die Ausnahme bleiben. „Man muss Talent haben, viel trainieren und eine perfekt abgestimmte Prothese als Ersatzgliedmaß haben, um Leistungen zu bringen“, erklärt er. „Deshalb muss keiner Angst haben: Behinderte werden die Wettbewerbe der Nichtbehinderten nicht überrennen.“