Mercedes-Motorsportchef: „Da werden Feindbilder aufgebaut“
Sotschi (dpa) - Für Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff sollte sich die Formel 1 mit einer Zeit nach der Ära von Chefvermarkter Bernie Ecclestone befassen.
„Manche mögen glauben, dass sie vielleicht unsterblich sind, und dass die Performance die gleiche bleibt. Man hat aber eine große Verantwortung für den Sport und da zählt es auch, den Sport richtig für die Zukunft aufzustellen“, sagte der Österreicher im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Erleben Sie gerade die schönste Phase als Mercedes-Teamchef?
Toto Wolff: Jedes Jahr hat andere Herausforderungen und immer wieder Probleme mit sich gebracht, die wir versucht haben, so gut wie möglich zu lösen. Dadurch, dass die Punkte jedes Jahr auf Null gehen, ist die Herausforderung jedes mal die gleiche. Auch wenn es vielleicht nach außen hin einfach aussieht.
Mussten Sie in Ihre Rolle erst hineinwachsen?
Wolff: Du musst in die Rolle hineinwachsen, du kannst nicht herkommen mit breiter Brust und sagen: 'Ich bin's, der Chef.' Du musst dir die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Mitarbeiter erst erarbeiten. Das dauert Zeit. Da spielen in erster Linie nicht die Worte eine Rolle, sondern Taten.
Sie müssen als Teamchef unter anderen ihre beiden Piloten Lewis Hamilton und Nico Rosberg bändigen. Müssen Sie da vor allem als Mediator auftreten?
Wolff: Die Rolle ist vielfältig. Es geht darum, ein Verständnis zu entwickeln, wie die Organisation aufgestellt sein muss, in welcher Rolle die Jungs und Mädels am besten performen, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit sie Leistung bringen. Und wie entwickeln wir die nächste Generation an Talenten in unserem Unternehmen.
Wie sieht die perfekte Organisation aus?
Wolff: Du musst ein fast bildliches Verständnis für deine Organisation kreieren, in der du versuchst, den bestmöglichen Mitarbeiter in seinem Kompetenzbereich richtig einzusetzen. Das ist nicht immer leicht. Nicht nur den Besten zu identifizieren, sondern auch auszubilden, Vertrauen zu geben, zu verändern, wenn es notwendig ist, und dann gleichzeitig es zu schaffen, dass ein Rad ins andere greift, dass keine Reibungsverluste entstehen. Sobald sich dieses Rad beginnt zu drehen, kann es schon etwas sehr effektives sein. Aber auch hier ist es nicht die Rolle eines Einzelnen, hier zählt die gesamte Organisation.
Darf man da einen Querkopf oder den Faktor Chaos zulassen?
Wolff: Den haben wir mit unserem Aufsichtsratvorsitzenden (Niki Lauda), der in seiner Funktion die wichtige Rolle hat, Dinge infrage zu stellen. Grundsätzlich sind wir in einem datengesteuerten Umfeld, wo Wahrscheinlichkeits-Rechnung und Ratio überwiegen. Wenn wir alle nach Instinkt entscheiden und nach der Chaostheorie agieren würden, würde auch Chaos herrschen. Deshalb spielt dieser Faktor eine untergeordnete Rolle.
Überwiegt bei Ihnen Instinkt oder Ratio?
Wolff: Ich gehe nach Instinkt vor, wenn es um die Einschätzung einer Persönlichkeit geht und den Charakter. Das ist insofern wichtig, weil wir Menschen sind, die miteinander arbeiten müssen. Die Kompetenz in dem jeweiligen Bereich ist sicher der wesentliche Faktor. Es muss nicht jeder ein Allrounder sein, sondern es ist ein Umfeld von Spezialisten, und der Spezialist muss in seinem Bereich bestmöglich performen, ohne zu sehr in den Garten des anderen zu schauen.
Wieviel Energie kostet es, eine exponierte Führungskraft zu sein?
Wolff: Nicht mehr und nicht weniger als in jedem anderen Beruf. Vielleicht hier mit dem zusätzlichen Aufwand, dass man in der Formel 1 medial relativ stark exponiert ist. Die Medien neigen dazu, immer einen Wunderwuzzi zu identifizieren, dem alles zu verdanken ist. Meiner Meinung nach gibt es den nicht. Es gibt nur einen, der mehr in der Öffentlichkeit steht als der andere. Ich glaube, dass nach drei, vier Jahren der Punkt kommt, wo man sich neu erfinden muss, neu motivieren muss oder neue Ziele setzen muss. Eine der Möglichkeiten ist, dass man die Rolle verändert, um der Gefahr zu entgehen, dass die Motivation sinkt. Das muss jeder für sich entscheiden.
Wie ist steht es mit Ihrem Motivationsfaktor?
Wolff: Meine Motivation ist insofern auf einem hohen Level, als ich das Mercedes-Motorsport-Programm weiterentwickeln und beitragen will, eine Struktur zu schaffen, die die Benchmark in diesem Sport ist. Diese Motivation ist in mir nach wie vor ungebrochen.
Ab 2017 kommt ein neues Reglement. Ist das auch ein Faktor, der neuen Antrieb erzeugen kann?
Wolff: Du musst dich generell immer wieder neu motivieren. Wenn jemand sagt, dass er jeden Tag motiviert in die Welt hinausstapft, ist das sicher nicht richtig. Ein verändertes Reglement ist eine neue Herausforderung und für uns eine sehr gute Möglichkeit, die Performance des Teams zu überprüfen. Wenn wir unsere Vormachtstellung über eine Reglementsänderung hinweg halten können, ist das schon etwas, was als Ziel Spaß macht. Dadurch kann man vielleicht wieder die Flamme höher steigen lassen.
Hat sich über die Jahre Ihr Umgang mit Hamilton und Rosberg verändert?
Wolff: Mit Sicherheit. Wenn du Jahre miteinander zu tun hast, wächst du auch zusammen, du lernst dich besser kennen und gewinnst Vertrauen. Wir kennen unsere gegenseitigen Stärken und Schwächen sehr genau, nehmen auch darauf Rücksicht und versuchen jeweils das Beste aus der Persönlichkeit herauszuholen. Das Vertrauen zwischen uns ist auf einem sehr guten Niveau.
Ob nun bei Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone oder Ihnen - wie wichtig ist Berechenbarkeit für einen Chefposten?
Wolff: Du musst als Chef generell für deine Mitarbeiter und dein Umfeld berechenbar sein. Irrationalität und übertriebene Emotionalität haben in keinem Job einen Platz. Die Zeiten verändern sich, wir leben in einer digitalen Welt und alle paar Tage irgendeine Schlagzeile herauszuschleudern, ohne darüber nachzudenken, ist sicher nicht der richtige Weg.
Setzt Ecclestone seine oft kontroversen Aussagen mit Kalkül ein?
Wolff: Ich glaube, dass sehr viel Kalkül dabei ist mit einer Prise Irrationalität.
Erlauben Sie sich auch mal eine Portion Irrationalität?
Wolff: Irrationalität hat überhaupt keinen Platz, weil sie nicht zum Erfolg führt. Wenn man sein Ziel nur über Umwege erreichen kann, dann muss man diesen Umweg eingehen, aber wie Bernie zu sagen: 'Ich würde mir kein Ticket kaufen, um zu einem Formel-1-Rennen zu kommen', daran ist wirklich nichts Positives für die Formel 1 zu erkennen.
Ecclestone ist der Einfluss von Ferrari und Mercedes zu hoch. Können Sie das nachvollziehen?
Wolff: Ich verstehe das. Wenn wir diesen Einfluss wirklich haben, dann versuchen wir ihn mit Verantwortung der Formel 1 gegenüber auszuüben. Im übrigen gehe ich nicht davon aus, dass das so ist. Es gibt eine Strategiegruppe und eine Formel-1-Kommission. In der Formel-1-Kommission gibt es 26 Mitglieder, Ferrari und Mercedes haben zwei Stimmen davon. Dann haben wir ein paar Teams, die wir mit unseren Motoren ausstatten, das macht in der Summe 7 von 26. Da kann man schon nicht von Kontrolle sprechen. Gerade das historische Veto, das Ferrari besitzt, üben sie sensibel aus. Ich denke, da werden Feindbilder aufgebaut.
Sollte sich Ecclestone in seinen Aussagen mäßigen?
Wolff: Wie Bernie agiert, ist sein Thema. Ich denke auch nicht, dass es an mir ist zu maßregeln, das wäre fehl am Platz. Er hat diesen Sport zu einem globalen Sport gemacht und das verdient Anerkennung.
Was macht das Charisma von Ecclestone aus?
Wolff: Er ist super auf Zack, intelligent. Er ist ein Unternehmer und Geschäftsmann mit einer großen Portion britischem Humor und war ein wirklich inspirierender Leader für diesen Sport, den er groß gemacht hat, auch weil er so eine Persönlichkeit ist. Deswegen kann man ihm diese Schlagzeilen auch nachsehen.
Fiat-Boss Sergio Marchionne hat sich dafür ausgesprochen, dass man sich allmählich Gedanken über die Nachfolge des mittlerweile 85-jährigen Ecclestone machen sollte. Teilen Sie diese Ansicht?
Wolff: Das teile ich. Manche mögen glauben, dass sie vielleicht unsterblich sind, und dass die Performance die gleiche bleibt. Man hat aber eine große Verantwortung für den Sport und da zählt es auch, den Sport richtig für die Zukunft aufzustellen.
Mehr als Sie kann man bei Mercedes kaum erreichen. Verfolgen Sie für sich einen Masterplan?
Wolff: Den Plan habe ich, aber über den zu sprechen ist es zu früh. Die Rolle bei Mercedes macht mir Spaß. Ich habe die Unterstützung des Vorstandes und der Daimler-Mitarbeiter. Ich freue mich über die Unterstützung im Team. Insofern habe ich sehr gute Rahmenbedingungen, um die Ziele mit Mercedes weiterzuverfolgen.
ZUR PERSON: Toto Wolff (44) ist seit Januar 2013 Motorsportchef bei Mercedes. 2014 und 2015 sicherte sich das Team die Konstrukteurs-WM. Wolff hält 30 Prozent der Anteile an der Mercedes-Benz-Grand-Prix Ltd., er ist zudem Mitbesitzer einer Fahrer-Managementagentur.