„Momentum“: Mercedes rüttelt an Formel-1-Hierarchie
Silverstone (dpa) - Unter der Abendsonne von Silverstone genoss Nico Rosberg verzückt das verspätete Geburtsständchen tausender Fans. Nach dem zweiten Saisonsieg des 28-Jährigen rüttelt Mercedes pünktlich zum Heimrennen auf dem Nürburgring am Sonntag immer kräftiger an der Formel-1-Hierarchie.
„Wir haben ein tolles Momentum im Team, es geht stetig bergauf“, stellte Rosberg zufrieden fest. Sein verdienter Erfolg in Großbritannien dürfte vor allem den schwelenden Konflikt mit dem um seine Vorherrschaft besorgten Serien-Weltmeister Red Bull weiter befeuern. Der erfolglose Protest von Red-Bull-Motorsportdirektor Helmut Marko gegen Rosbergs Sieg war der nächste unfreundliche Akt im Zwist der beiden Rennställe.
Die Sorge beim Getränkekonzern vor einem sich anbahnenden Titanen-Duell auf der Rennstrecke scheinen begründet. Nach drei Frustjahren hat Mercedes die Erfolgsformel gefunden. Fünf Pole Positions in acht Rennen beweisen, wie schnell der W04 ist. Und nach Problemen im Dauerlauf zum Saisonanfang kann der Silberpfeil nun auch über die Renndistanz mit der Spitze mithalten. Der zunächst führende Lewis Hamilton raste nach seinem Reifenplatzer noch von ganz hinten auf Rang vier. „Das Team hat eine perfekte Arbeit geleistet“, lobte Team-Aufsichtsratschef Niki Lauda via RTL.
Der Österreicher und sein Landsmann Toto Wolff als neuer Motorsportchef haben den in Selbstzweifeln gefangenen Rennstall in kurzer Zeit zum frech-forschen Siegerteam getrimmt. Der Kurswechsel ist klar: Die Sparpolitik ist vorbei, mit spürbar erhöhtem Budget und frischem Spitzenpersonal setzt Mercedes aggressiv auf Attacke. „Ich möchte die geballte Power des Konzerns nutzen“, sagte Wolff in Silverstone. „Jetzt müssen wir weiter Gas geben, denn wir möchten in dieser Saison noch viel mehr erreichen.“
Der ungemeine Vorwärtsdrang des Verfolgers verunsichert anscheinend sogar den Branchenführer. Sebastian Vettels Arbeitgeber Red Bull strengte sich zuletzt mächtig an, Mercedes wegen des umstrittenen Privattests mit Reifenlieferant Pirelli vor ein Gericht des Weltverbands zu bringen und eine harte Strafe zu erwirken. Dass der Gegner mit einer Verwarnung und der Sperre für den Nachwuchstest glimpflich davonkam, gefiel der Red-Bull-Spitze gar nicht. „Es gibt für mich eine Grenze, und die wurde von Red Bull überschritten“, ließ Mercedes-Manager Wolff wissen.
Im „Home of British Motor Racing“ flogen die Giftpfeile. „Dauerhaft ist es nicht akzeptabel, dass ein Brausehersteller 100 000 Mercedes-Benz-Mitarbeitern vor der Nase herumfährt“, sagte Wolff provokant. „Solche unqualifizierten Äußerungen ignorieren wir nicht einmal - wortwörtlich bitte!“, konterte Red-Bull-Statthalter Marko.
An den Zahlen ändert das nichts. In der Konstrukteurswertung zog Mercedes in Silverstone an Ferrari vorbei auf Platz zwei und hat nur noch Red Bull vor sich. Schon nach acht Saisonrennen hat Mercedes 29 WM-Punkte mehr gesammelt als in den 20 Läufen des Vorjahres. Hamilton und Rosberg sind als Vierter und Sechster der Fahrerwertung durchaus noch im WM-Rennen. An diesem Trend müsse man „ruhig weiterarbeiten“, mahnte Wolff. Mit der Ruhe aber wird es vor dem Mercedes-Heimspiel in der Eifel ganz sicher nichts.