Reifenzoff: Mercedes & Co. setzen aufs FIA-Tribunal
Montréal (dpa) - Mercedes muss noch knapp zwei Wochen zittern, Pirelli kommt wohl ungeschoren davon und Ferrari ist definitiv aus dem Schneider:
Beim hochpolitischen Streit um den ominösen Reifentest des deutschen Rennstalls und des italienischen Pneu-Produzenten soll am 20. Juni die Entscheidung fallen. Die ganze Formel 1 will das quälende Reizthema „Testgate“ möglichst schnell wieder vom Tisch bringen. Schließlich ist das sportliche Geschehen auch beim Großen Preis von Kanada wegen des Dauerzoffs völlig in den Hintergrund gedrängt worden.
Trotz aller kontroversen Interpretationen über Vorteile und Legalität des dreitägigen Tests Mitte Mai sind sich die Beschuldigten und Kläger in einem Punkt einig: Es sei gut, dass das Internationale Tribunal des Automobil-Weltverbands FIA den delikaten Fall bald verhandelt. „Wir vertrauen dem Tribunal“, erklärte Mercedes-Teamchef Ross Brawn in Montréal. Sein Red-Bull-Kollege Christian Horner versicherte: „Wir vertrauen darauf, dass die FIA die angemessenen Entscheidungen trifft.“
Die Mercedes-Verantwortlichen verteidigten vor der Qualifikation noch einmal den Test und versicherten, nichts Unrechtes getan zu haben. „Mercedes hat sich abgesichert und die Erlaubnis bekommen, mit dem 2013er Auto zu testen“, sagte Niki Lauda, der Chef des Formel-1-Aufsichtsrates, dem Fernsehsender RTL. „Beim Tribunal wird sich zeigen, wer Recht hat.“ Motorsportchef Toto Wolff bestritt den Vorwurf der Konkurrenz, Vorteile aus dem Test erzielt zu haben: „Wir haben nichts gelernt, wir haben Pirelli unterstützt.“ Der Österreicher plädierte dafür, „abzuwarten, was das Tribunal sagt“.
Das mindestens drei Mitglieder umfassende Tribunal muss klären, ob der Reifentest mit einem aktuellen Silberpfeil und den beiden Stammpiloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton regelkonform oder rechtswidrig war. Laut Statuten sind solche Probefahrten während der Saison eigentlich nicht erlaubt. Aber die FIA stimmte dem Ansinnen Pirellis unter der Bedingung zu, dass auch andere Teams zu einem solchen Test eingeladen würden.
Seit dem Großen Preis von Monaco tobt nun ein erbitterter Streit darüber, ob der Test legal oder illegal war, wer was wie entschieden oder zugesagt hat und ob - und falls ja welche - Vorteile Mercedes aus den insgesamt 1000 Kilometern ziehen konnte.
Brawn beteuerte in Montréal: „Für uns ist sportliche Integrität sehr, sehr wichtig. Wir hätten den Pirelli-Test nicht gemacht, wenn wir nicht geglaubt hätten, dass wir ihn machen können.“ Der Brite legte großen Wert darauf, dass es sich um einen „Pirelli-Test“ gehandelt habe: „Es ist sehr wichtig, das zu beachten.“ Zudem sei es ein privater und kein geheimer Test gewesen.
Red Bull und Ferrari sehen das komplett anders. Das Team von Dreifach-Weltmeister Sebastian Vettel und die Italiener schafften mit ihrem Protest nach Nico Rosbergs Sieg in Monte Carlo die Voraussetzung für das nun eingeleitete Verfahren. „Nach unserer Interpretation war das ein klarer Bruch der Regeln und deshalb haben wir Protest eingelegt“, begründete Horner sein Vorgehen. Zugleich nahm er Pirelli aus der Schusslinie: „Das ist eine Angelegenheit zwischen dem Team und der FIA.“
Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali zeigte sich überzeugt, dass das Tribunal den Fall klären werde: „Sie haben alle Grundlagen dafür.“ Der Italiener ist fein heraus. Die Scuderia testete zwar im April ebenfalls Pirelli-Reifen, aber mit einem zwei Jahre alten Auto. Damit liegt juristisch nichts gegen die Scuderia vor, auch wenn einige urteilen, Ferrari habe von den Fahrten trotzdem profitiert.
Die Silberpfeil-Chefs kritisierten ihre Kontrahenten lautstark. „Red Bull ist ganz vorne mit dabei, Mercedes einen Strick zu ziehen“, schimpfte Lauda. Wolff urteilte: „Die meisten, die am lautesten schreien, kennen die Fakten nicht.“ Die Situation belaste natürlich die operative Mannschaft und die Fahrer.
Pirelli hat vor dem Tribunal kaum etwas zu befürchten. Der Reifen-Monopolist kann laut Fachmagazin „auto, motor und sport“ juristisch nicht belangt werden, weil er kein Wettbewerber ist. Nur die FIA könne die Italiener direkt bestrafen - unter der Voraussetzung, dass der Vertrag zwischen diesen beiden Parteien gebrochen worden sei. Das treffe jedoch nicht zu. „Wir reden vor dem Tribunal über alles. Wir sind froh, dort unsere Position und Situation darstellen zu können“, sagte Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery. Der FIA-Pressekonferenz in Kanada blieb der Brite allerdings auf Anraten seiner Anwälte fern.